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The Rudolf Steiner Archive

a project of Steiner Online Library, a public charity

Grundlinien einer Erkenntnistheorie der Goetheschen Weltanschauung, mit besonderer Rücksicht auf Schiller
GA 2

20. Optimismus und Pessimismus

Der Mensch hat sich uns als der Mittelpunkt der Weltordnung erwiesen. Er erreicht als Geist die höchste Form des Daseins und vollbringt im Denken den vollkommensten Weltprozeß. Nur wie er die Sachen beleuchtet, so sind sie wirklich. Das ist eine Ansicht, der zufolge der Mensch die Stütze, das Ziel und den Kern seines Daseins in sich selbst hat. Sie macht den Menschen zu einem sich selbst genugsamen Wesen. Er muß in sich den Halt finden für alles, was an ihm ist. Also auch für seine Glückseligkeit. Soll ihm die letztere werden, so kann er sie nur sich selbst verdanken. Jede Macht, die sie ihm von außen spendete, verdammte ihn damit zur Unfreiheit. Es kann dem Menschen nicht etwas Befriedigung gewähren, dem diese Fähigkeit nicht zuerst von ihm verliehen wurde. Soll etwas für uns eine Lust bedeuten, so müssen wir ihm erst jene Macht, durch die es solches kann, selbst verleihen. Lust und Unlust sind für den Menschen im höheren Sinne nur da, insofern er sie als solche empfindet. Damit fällt aller Optimismus und aller Pessimismus in sich zusammen. Jener nimmt an, die Welt sei so, daß in ihr alles gut sei, daß sie den Menschen zur höchsten Zufriedenheit führe. Soll das aber sein, dann muß er ihren Gegenständen selbst irgend etwas abgewinnen, wonach er verlangt, das heißt, er kann nicht durch die Welt sondern nur durch sich glücklich werden.

Der Pessimismus hinwiederum glaubt, die Einrichtung der Welt sei eine solche, daß sie den Menschen ewig unbefriedigt lasse, daß er nie glücklich sein könne. Der obige Einwand gilt natürlich auch hier. Die äußere Welt ist an sich weder gut noch schlecht, sie wird es erst durch den Menschen. Der Mensch müßte sich selbst unglücklich machen, wenn der Pessimismus begründet sein sollte. Er müßte Verlangen nach dem Unglücke tragen. Die Befriedigung seines Verlangens begründet aber gerade sein Glück. Der Pessimist müßte folgerichtig annehmen, daß der Mensch im Unglücke sein Glück sieht. Damit würde seine Ansicht aber doch wieder in nichts zerfließen. Diese einzige Erwägung zeigt deutlich genug die Irrtümlichkeit des Pessimismus.