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The Rudolf Steiner Archive

a project of Steiner Online Library, a public charity

Die Schwelle der geistigen Welt
GA 17

Von dem Ich-Gefühl und von der Liebefähigkeit der menschlichen Seele und deren Verhältnissen zur elemantarischen Welt

Wenn die Menschenseele bewußt in die elementatische Welt eintritt, so sieht sie sich genötigt, manche Vorstellungen, welche sie innerhalb der Sinneswelt gewonnen hat, zu verändern. Verstärkt die Seele ihre Kräfte entsprechend, so wird sie zu dieser Veränderung auch fähig. Nur wenn sie zurückscheut, diese Verstärkung sich zu erwerben, so kann sie von dem Gefühle befallen werden, beim Eintritte in die elementarische Welt den festen Boden zu verlieren, auf welchem sie ihr inneres Leben aufbauen muß. Die Vorstellungen, welche in der physisch-sinnlichen Welt gewonnen werden, bieten nur so lange ein Hindernis für den Eintritt in die elementarische Welt, als man sie genau so festhalten will, wie man sie in der Sinneswelt gewonnen hat. Es gibt aber keinen anderen Grund für ein solches Festhalten als die Gewöhnung der Seele. Es ist auch ganz naturgemäß, daß sich das Bewußtsein, das zunächst nur mit der Sinneswelt zusammenlebt, gewöhnt die Gestalt seiner Vorstellungen für die einzig mögliche zu halten, welche sich an dieser Sinneswelt herausbildet. Und es ist sogar noch mehr als naturgemäß; es ist notwendig. Das Seelenleben würde niemals zu seiner inneren Geschlossenheit, zu seiner notwendigen Festigkeit kommen, wenn es nicht in der Sinneswelt ein Bewußtsein entwickelte, das in einer gewissen Beziehung in starren, ihm strenge aufgenötigten Vorstellungen lebte. Durch alles, was das Zusammenleben mit der Sinneswelt der Seele geben kann, ist diese dann in der Lage, in die elementarische Welt so einzutreten, daß sie in dieser ihre Selbständigkeit, ihre in sich geschlossene Wesenheit nicht verliert. Die Verstärkung, die Erkraftung des Seelenlebens muß erworben werden, damit diese Selbständigkeit beim Eintritte in die elementarische Welt nicht nur als unbewußte Seeleneigenschaft vorhanden ist, sondern auch im Bewußtsein klar festgehalten werden kann. Ist die Seele zu schwach für das bewußte Erleben der elementarischen Welt, so entschwindet ihr beim Eintritte die Selbständigkeit, wie ein Gedanke entschwindet, der zu schwach der Seele eingeprägt ist, um in deutlicher Erinnerung fortzuleben. In Wahrheit kann dann die Seele überhaupt nicht in die übersinnliche Welt mit ihrem Bewußtsein eintreten. Sie wird von jener Wesenheit, die in ihr lebt, und welche als der «Hüter der Schwelle» bezeichnet werden kann, immer wieder in die Sinneswelt zurückgeworfen, wenn sie den Versuch macht, in die übersinnliche Welt zu kommen. Und hat sie dabei doch an dieser Welt gleichsam genascht, so daß sie nach dem Zurücksinken in die Sinneswelt etwas von der übersinnlichen Welt im Bewußtsein zurückbehält, so wird durch eine solche Beute aus einem anderen Bereich oftmals Verworrenheit des Vorstellungslebens bewirkt. - Es ist ganz unmöglich, in eine solche Verworrenheit zu verfallen, wenn ganz besonders die gesunde Urteilskraft, wie sie in der Sinneswelt erworben werden kann, in entsprechender Art gepflegt wird. - Durch solches Erkraften der Urteilsfähigkeit wird das richtige Verhältnis der Seele zu den Vorgängen und Wesenheiten der übersinnlichen Welten entwickelt. Um in diesen Welten bewußt zu leben, ist nämlich ein Trieb der Seele notwendig, welcher in der Sinneswelt nicht in der Stärke zur Entfaltung kommen kann, in welcher er in den übersinnlichen Welten auftritt. Es ist der Trieb der Hingabe an dasjenige, was man erlebt. Man muß in dem Erlebnis untertauchen, man muß eins mit ihm werden können; man muß dies bis zu einem solchen Grade können, daß man sich außerhalb seiner eigenen Wesenheit erschaut und in der anderen Wesenheit drinnen fühlt. Es findet eine Verwandlung der eigenen Wesenheit in die andere statt, mit welcher man das Erlebnis hat. Wenn man diese Verwandlungsfähigkeit nicht hat, so kann man in den übersinnlichen Welten nichts Wahrhaftiges erleben. Denn alles Erleben beruht darauf, daß man sich zum Bewußtsein bringt: jetzt bist du in «dieser bestimmten Art» verwandelt, also bist du lebensvoll mit einem Wesen zusammen, das durch seine Natur die deinige in «dieser» Weise umwandelt. Dieses Sich-Umwandeln, dieses Einfühlen in andere Wesenheiten ist das Leben in den übersinnlichen Welten. Durch dieses Innleben lernt man die Wesenheiten und Vorgänge dieser Welten kennen. Man bemerkt auf diese Art, wie man mit der einen Wesenheit in dieser oder jener Art verwandt ist, wie man einer anderen durch seine eigene Natur ferner steht. Abstufungen von Seelenerlebnissen treten auf, die man - besonders für die elementarische Welt - als Sympathien und Antipathien bezeichnen muß. Man erfühlt sich zum Beispiel durch das Zusammentreffen mit einer Wesenheit oder einem Vorgange der elementarischen Welt so, daß in der Seele ein Erlebnis auftaucht, das man als Sympathie bezeichnen kann. In diesem Sympathie-Erlebnis erkennt man die Natur des elementarischen Wesens oder Vorgangs. Nur soll man sich nicht vorstellen, daß die Erlebnisse der Sympathie und Antipathie bloß in bezug auf ihre Stärke, ihren Grad in Betracht kommen. Bei den Sympathie- und Antipathie-Erlebnissen in der physisch-sinnlichen Welt ist es ja in einem gewissen Sinne so, daß man nur von einer stärkeren oder schwächeren Sympathie beziehungsweise Antipathie spricht. In der elementarischen Welt sind die Sympathien und Antipathien nicht nur durch ihre Stärke zu unterscheiden, sondern so, wie zum Beispiel in der sinnlichen Welt die Farben voneinander zu unterscheiden sind. Wie man eine vielfarbige Sinneswelt hat, so kann man eine vielartig-sympathische oder -antipathische elementarische Welt erleben. Auch dies kommt dabei noch in Betracht, daß «antipathisch» für das Reich des Elementarischen nicht den Beigeschmack hat, daß man sich von ihm innerlich abwendet; man muß da mit antipathisch einfach eine Eigenschaft des elementarischen Wesens oder Vorgangs bezeichnen, die zu einer sympathischen Eigenschaft eines anderen Vorganges oder Wesens sich ähnlich verhält, wie etwa in der Sinneswelt die blaue zu der roten Farbe.

Man könnte von einem «Sinne» sprechen, den der Mensch für die elementarische Welt in seinem ätherischen Leibe zu erwecken vermag. Dieser Sinn ist fähig, Sympathien und Antipathien in der elementarischen Welt wahrzunehmen, wie in der Sinneswelt das Auge Farben, das Ohr Töne wahrnimmt. Und wie in der Sinneswelt der eine Gegenstand rot, der andere blau ist, so sind die Wesenheiten der elementarischen Welt so, daß die eine diese Art von Sympathie, die andere jene Art von Antipathie in die Geistesschau hereinstrahlt.

Dieses Erleben der elementarischen Welt durch Sympathien und Antipathien ist wieder nicht etwas, was nur für die übersinnlich erwachte Seele entsteht; es ist für jede Menschenseele immer vorhanden; es gehört zum Wesen der Menschenseele. Für das gewöhnliche Seelenleben ist nur das Wissen von dieser Wesenheit des Menschen nicht ausgebildet. Der Mensch trägt in sich seinen ätherischen Leib; und durch diesen hängt er hundertfaltig mit Wesenheiten und Vorgängen der elementarischen Welt zusammen. In dem einen Augenblick seines Lebens ist er in einer gewissen Art mit Sympathien und Antipathien in die elementarische Welt hineinverwoben; in einem anderen Augenblicke in einer anderen Art.

Nun kann aber die Seele nicht fortwährend als ätherische Wesenheit so leben, daß in ihr die Sympathien und Antipathien in deutlich ausgesprochener Art wirksam sind. Wie im Sinnessein der Wachzustand mit dem Schlafzustand abwechseln muß, so muß in der elementarischen Welt dem Erleben der Sympathien und Antipathien ein anderer Zustand entgegenstehen. Die Seele kann sich allen Sympathien und Antipathien entziehen und in sich selbst nur sich erleben, nur ihr eigenes Sein beachten, erfühlen. Ja, dieses Erfühlen kann eine solche Stärke erreichen, daß man von einem «Wollen» der eigenen Wesenheit sprechen kann. Es handelt sich da um einen Zustand des Seelenlebens, den man deshalb nicht leicht schildern kann, weil er in seiner reinen, ureigenen Natur von solcher Art ist, daß ihm in der Sinneswelt nichts anderes ähnlich ist als das starke, reine Ich- oder Selbstgefühl der Seele. Für die elementarische Welt kann man den Zustand so schildern, daß man sagt, die Seele fühle gegenüber der notwendigen Hingabe an die Sympathie- und Antipathie-Erlebnisse den Trieb, sich zu sagen: ich will auch ganz nur für mich; nur in mir sein. Und durch eine Art Willensentfaltung entreißt sich die Seele dem Zustande der Hingabe an die elementarischen Sympathie- und Antipathie-Erlebnisse. Für die elementarische Welt ist dieses In-sich-Leben gewissermaßen der Schlafzustand; während die Hingabe an die Vorgänge und Wesenheiten der Wachzustand ist. - Wenn die Menschenseele in der elementarischen Welt wach ist und den Willen zu dem Sich-Erleben entwickelt, also das Bedürfnis nach dem «elementarischen Schlaf» empfindet, so kann ihr dieser werden, indem sie in den Wachzustand des Sinnenerlebens mit vollentwickeltem Selbstgefühl zurücktritt. Denn dieses vom Selbstgefühl durchtränkte Erleben in der Sinneswelt ist eben der elementarische Schlaf. Er besteht in dem Losreißen der Seele von den elementarischen Erlebnissen. Es ist wörtlich richtig, daß für das übersinnliche Bewußtsein das Leben der Seele in der Sinneswelt ein geistiges Schlafen ist.

Wenn in der richtig entwickelten menschlichen Geistes-Schau das Erwachen in der übersinnlichen Welt eintritt, so bleibt die Erinnerung an die Erlebnisse der Seele in der Sinneswelt vorhanden. Diese Erinnerung muß vorhanden bleiben, sonst wären in dem hellsichtigen Bewußtsein wohl die anderen Wesenheiten und Vorgänge vorhanden, nicht aber die eigene Wesenheit. Man hätte dann kein Wissen von sich; man lebte nicht selbst geistig; es lebten in der Seele die anderen Wesenheiten und Vorgänge. Man wird, dies bedenkend, begreiflich finden, daß die richtig entwickelte Hellsichtigkeit einen großen Wert legen muß auf die Ausbildung des starken «Ich-Gefühls». Man entwickelt in diesem Ich-Gefühl mit der Hellsichtigkeit durchaus nicht etwas, was erst durch die Hellsichtigkeit in die Seele kommt; man lernt eben nur dasjenige erkennen, was in den Seelentiefen immer vorhanden ist, aber für das gewöhnliche, in der Sinneswelt verlaufende Seelenleben unbewußt bleibt.

Das starke «Ich-Gefühl» ist nicht durch den ätherischen Leib als solchen vorhanden, sondern durch die Seele, welche sich in dem physisch-sinnlichen Leib erlebt. Bringt es die Seele nicht von ihrem Erleben in der Sinneswelt in den hellsichtigen Zustand hinein mit, so wird sich ihr zeigen, daß sie für das Erleben in der elementarischen Welt nicht zureichend gerüstet ist.

Es ist dem menschlichen Bewußtsein innerhalb der Sinneswelt wesentlich, daß das Selbstgefühl der Seele (ihr Ich-Erleben), trotzdem es vorhanden sein muß, abgedämpft ist. Dadurch hat die Seele die Möglichkeit, innerhalb der Sinneswelt die Schulung für die edelste sittliche Kraft, für das Mitgefühl zu erleben. Ragte das starke Ich-Gefühl in die bewußten Erlebnisse der Seele innerhalb der Sinneswelt hinein, so könnten sich die sittlichen Triebe und Vorstellungen nicht in der richtigen Weise entwickeln. Sie könnten nicht die Frucht der Liebe hervorbringen. Die Hingabe, dieser naturgemäße Trieb der elementarischen Welt, ist nicht dem gleich zu achten, was man im menschlichen Erleben als Liebe bezeichnet. Die elementarische Hingabe beruht auf einem Sich-Erleben in dem anderen Wesen oder Vorgang; die Liebe ist ein Erleben des andern in der eigenen Seele. Um dies Erleben zur Entfaltung zu bringen, muß in der Seele über das in ihren Tiefen vorhandene Selbstgefühl (Ich-Erlebnis) gewissermaßen ein Schleier gezogen sein; und in der Seele, welche in bezug auf ihre eigenen Kräfte abgedämpft ist, ersteht dadurch das In-sich-Fühlen der Leiden und Freuden des anderen Wesens; es erkeimt die Liebe, aus der echte Sittlichkeit im Menschenleben erwächst. Die Liebe ist für den Menschen die bedeutsamste Frucht des Erlebens in der Sinneswelt. Durchdringt man das Wesen der Liebe, des Mitgefühls, so findet man in diesen die Art, wie das Geistige in der Sinneswelt sich in seiner Wahrheit auslebt. Es ist hier gesagt worden, daß es zum Wesen des Übersinnlichen gehört, sich in ein anderes zu verwandeln. Wenn das Geistige im sinnlich-physisch lebenden Menschen sich so verwandelt, daß es das Ich-Gefühl abdämpft und als Liebe auflebt, so bleibt dieses Geistige seinen eigenen elementarischen Gesetzen treu. Man kann sagen, daß mit dem übersinnlichen Bewußtsein die Menschenseele in der geistigen Welt aufwacht; man muß aber ebenso sagen, daß in der Liebe das Geistige innerhalb der Sinneswelt aufwacht. Wo Liebe, wo Mitgefühl sich regen im Leben, vernimmt man den Zauberhauch des die Sinneswelt durchdringenden Geistes. - Deshalb kann niemals die richtig entwickelte Hellsichtigkeit das Mitgefühl, die Liebe abstumpfen. Je richtiger die Seele sich in die geistigen Welten einlebt, desto mehr empfindet sie die Lieblosigkeit, den Mangel an Mitgefühl als eine Verleugnung des Geistes selbst.-

Die Erfahrungen des schauend werdenden Bewußtseins zeigen in bezug auf das Vorgesagte ganz besondere Eigentümlichkeiten. Während das Ich-Gefühl - das aber für das Erleben in den übersinnlichen Welten notwendig ist - leicht sich abdämpft, oft sich wie ein schwacher, verlöschender Erinnerungsgedanke verhält, werden Gefühle des Hasses, der Lieblosigkeit, werden unsittliche Triebe zu starken Seelenerlebnissen gerade nach dem Eintritte in die übersinnliche Welt; sie stellen sich vor die Seele wie lebendig gewordene Vorwürfe hin, werden gräßlich wirkende Bilder. Um dann von diesen Bildern nicht gequält zu sein, greift das übersinnliche Bewußtsein oft zu dem Auskunftsmittel, sich nach geistigen Kräften umzusehen, welche die Eindrücke dieser Bilder abschwächen. Damit aber durchdringt sich die Seele mit diesen Kräften, welche verderblich wirken auf die erworbene Hellsichtigkeit. Sie treiben diese von den guten Gebieten der geistigen Welt ab und lenken sie zu den schlechten hin.

Auf der anderen Seite sind die wahrhaftige Liebe, das rechte Wohlwollen der Seele auch solche Seelen-Erlebnisse, welche die Kräfte des Bewußtseins in dem Sinne verstärken, wie es für den Eintritt in die Hellsichtigkeit notwendig ist. Wenn davon gesprochen wird, daß die Seele eine Vorbereitung braucht, bevor sie in der übersinnlichen Welt Erfahrungen machen kann, so darf hinzugefügt werden, daß zu den mannigfaltigen Vorbereitungsmitteln auch die wahre Liebefähigkeit, die Neigung für echtes menschliches Wohlwollen und Mitgefühl gehören.

Ein übermäßig entwickeltes Ich-Gefühl in der Sinneswelt wirkt der Sittlichkeit entgegen. Ein Ich-Gefühl, welches zu schwach entwickelt ist, bewirkt, daß die Seele, die tatsächlich von den Stürmen der elementarischen Sympathien und Antipathien umkraftet ist, der inneren Sicherheit und Geschlossenheit entbehrt. Diese können nur vorhanden sein, wenn in den ätherischen Leib, der dem gewöhnlichen Leben unbewußt bleibt, ein genügend starkes Ich-Gefühl von dem sinnlich-physischen Erleben aus hineinwirkt. Zur Entwickelung einer echt sittlichen Seelenstimmung ist aber notwendig, daß dieses Ich-Gefühl, obwohl es vorhanden sein muß, doch abgedämpft wird durch die Neigungen zu Mitgefühl und Liebe.