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The Rudolf Steiner Archive

a project of Steiner Online Library, a public charity

Die Schwelle der geistigen Welt
GA 17

Von der Grenze zwischen der Sinneswelt und den übersinnlichen Welten

Für die Erkenntnis des Verhältnisses der verschiedenen Welten kommt in Betracht, daß eine Kraft, die in einer Welt eine dem Sinne der Weltenordnung gemäße Wirkung entfalten muß, sich dann gegen diese Weltenordnung richten kann, wenn sie in einer anderen Welt zur Entfaltung kommt. So ist es für die Wesenheit des Menschen notwendig, daß in seinem ätherischen Leibe die zwei Gegenkräfte vorhanden sind: die Verwandlungsfähigkeit in andere Wesenheiten und das starke Ich- oder Selbstgefühl. Beide Kräfte der menschlichen Seele können nicht ohne Abdämpfung von der Seele im Sinnessein zur Entfaltung gebracht werden. In der elementarischen Welt sind sie so vorhanden, daß sie durch ihren gegenseitigen Ausgleich die menschliche Wesenheit möglich machen, wie Schlaf und Wachen in der Sinneswelt das menschliche Leben möglich machen. Es könnte das Verhältnis zweier solcher Gegenkräfte nie so sein, daß die eine die andere auslöscht, sondern es muß so sein, daß beide zur Entwickelung kommen und ausgleichend aufeinander wirken.- Nun können Ich-Gefühl und Verwandlungsfähigkeit nur in der elementarischen Welt aufeinander in der angedeuteten Art wirken; in die Sinneswelt hinein kann nur das im Sinne der Weltenordnung wirken, was aus beiden Kräften in ihrem gegenseitigen Verhältnis und Zusammenwirken sich ergibt. Wenn der Grad von Verwandlungsfähigkeit, welchen ein Mensch in seinem ätherischen Leibe haben muß, in das Sinnessein hineinwirkte, so würde der Mensch seelisch sich als etwas fühlen, was er in Gemäßheit seines physischen Leibes nicht ist. Der physische Leib gibt dem Menschen in der Sinneswelt eine feste Prägung, durch die er als ein bestimmtes persönliches Wesen in diese Welt hineingestellt ist. So ist er mit seinem ätherischen Leibe nicht in die elementarische Welt hineingestellt. In dieser muß er, um in vollem Sinne Mensch sein zu können, die manigfaltigsten Formen annehmen können. Wäre ihm dieses unmöglich, so wäre er in der elementarischen Welt zur völligen Einsamkeit verdammt; er könnte von nichts als nur von sich selber etwas wissen; er fühlte sich mit keinem Wesen und keinem Vorgange verwandt. Dies aber wäre für diese Welt gleichbedeutend damit, daß die entsprechenden Wesen und Vorgänge für einen solchen Menschen nicht vorhanden wären. - Brächte aber die Menschenseele in der Sinneswelt die ihr für die elementarische Welt notwendige Verwandlungsfähigkeit zur Entwickelung, so ginge ihr die persönliche Wesenheit verloren. Eine solche Seele lebte im Widerspruch mit sich selbst. Es muß für die physische Welt die Verwandlungsfähigkeit eine in den Seelentiefen ruhende Kraft sein; eine Kraft, welche der Seele ihre Grundstimmung gibt, die aber nicht in der Sinneswelt zur Entfaltung kommt. - Das übersinnliche Bewußtsein muß sich in die Verwandlungsfähigkeit hineinleben; es könnte, wenn es dazu nicht imstande wäre, keine Beobachtungen in der elementarischen Welt machen. So eignet sich das übersinnliche Bewußtsein eine Fähigkeit an, die es nur zur Anwendung bringen soll, solange es in der elementarischen Welt sich weiß; die es aber unterdrücken muß, sobald es wieder in die Sinneswelt zurückkehrt. Es muß das übersinnliche Bewußtsein stets die Grenze der beiden Welten beachten; es muß mit Fähigkeiten, welche einer übersinnlichen Welt angemessen sind, sich nicht in der Sinneswelt betätigen. Ließe die Seele, wenn sie in der Sinneswelt sich weiß, die Verwandlungsfähigkeit ihres ätherischen Leibes fortwirken, so würde sich das gewöhnliche Bewußtsein erfüllen mit Vorstellungen, welche in der Sinneswelt keiner Wesenheit entsprechen. Die Seele käme in die Verworrenheit des Vorstellungslebens hinein. Die Beachtung der Grenze zwischen den Welten ist eine notwendige Voraussetzung für die richtige Wirkung des übersinnlichen Bewußtseins. - Wer das übersinnliche Bewußtsein erreichen will, muß darauf bedacht sein, daß sich durch das Wissen von übersinnlichen Welten nichts Störendes in sein gewöhnliches Bewußtsein einschleiche. - Lernt man den «Hüter der Schwelle» kennen, so weiß man dadurch, wie es mit der Seele in der Sinneswelt steht, wie stark sie ist, um aus dem sinnlich-physischen Bewußtsein dasjenige zu verbannen, was in ihm nicht wirksam sein darf von Kräften und Fähigkeiten der übersinnlichen Welten. Tritt man ohne die durch den «Hüter der Schwelle» vermittelte Selbsterkenntnis in die übersinnliche Welt ein, so kann man von den Erlebnissen dieser Welt überwältigt werden. Diese Erlebnisse können sich als illusionäre Bilder in das physisch-sinnliche Bewußtsein hereindrängen. Sie nehmen dann den Charakter von Sinneswahrnehmungen an; und die notwendige Folge davon ist, daß die Seele sie für Wirklichkeit hält, was sie nicht sind. Die richtig entwickelte Hellsichtigkeit wird niemals die Bilder der elementarischen Welt in dem Sinne für Wirklichkeit halten, wie das physisch-sinnliche Bewußtsein die Erlebnisse der Sinneswelt für Wirklichkeit halten muß. Die Bilder der elementarischen Welt werden durch die Verwandlungsfähigkeit der Seele erst mit der Wirklichkeit, der sie entsprechen, in den richtigen Zusammenhang gebracht.

Auch die zweite, dem ätherischen Leib notwendige Kraft - das starke Ichgefühl - darf nicht in das Leben der Seele innerhalb der Sinneswelt so hereimagen, wie sie der elementarischen Welt angemessen ist. Wenn sie es doch tut, so wird sie in der Sinneswelt zum Quell der unsittlichen Neigungen, insoferne diese mit dem Egoismus zusammenhängen. - Die Geisteswissenschaft findet an diesem Punkte ihrer Weltbetrachtung den Ursprung des «Bösen» im menschlichen Handeln. Es hieße die Weltordnung verkennen, wenn man sich dem Glauben hingäbe, daß diese Weltordnung auch ohne die Kräfte bestehen könne, welche den Quell des Bösen bilden. Wären diese Kräfte nicht vorhanden, so könnte die ätherische Wesenheit des Menschen in der elementarischen Welt nicht zur Entwickelung kommen. Diese Kräfte sind durchaus gute Kräfte, wenn sie nur in der elementarischen Welt zur Wirksamkeit kommen; sie bringen das Böse dadurch zustande, daß sie nicht in den Seelentiefen in Ruhe verbleiben und dort das Verhältnis des Menschen zur elementarischen Welt regeln, sondern daß sie in das Erleben der Seele innerhalb der Sinneswelt versetzt werden und sich dadurch in Triebe des Egoismus verwandeln. Sie wirken dann der Liebefähigkeit entgegen und werden eben dadurch die Ursprünge des unsittlichen Handelns.

Geht das starke Ich-Gefühl von dem ätherischen Leib in den physischen über, so bewirkt dies nicht nur eine Verstärkung des Egoismus, sondern auch eine Schwächung des ätherischen Leibes. Das übersinnliche Bewußtsein muß die Entdeckung machen, daß beim Eintritte in die übersinnliche Welt das notwendige Ich-Gefühl um so schwächer ist, je stärker der Egoismus im Erleben innerhalb der Sinneswelt ist. Der Egoismus macht den Menschen in seinen Seelentiefen nicht stark, sondern schwach. - Und wenn der Mensch durch die Pforte des Todes schreitet, so tritt die Wirkung des Egoismus, welcher in dem Leben zwischen Geburt und Tod entwickelt worden ist, so ein, daß dieser die Seele schwach für die Erlebnisse der übersinnlichen Welt macht.