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The Rudolf Steiner Archive

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Aufsätze uber die Dreigliederung des sozialen Organismus
GA 24

Die Memoranden vom Juli 1917

Erstes Memorandum

Die Wortführer der Entente führen unter den Gründen, warum sie den Krieg fortsetzen müssen, den an, daß sie von Deutschland überfallen worden sind. Sie behaupten daher, sie müssen Deutschland in eine solche Lage der Machtlosigkeit bringen, daß fortan ihm jede Möglichkeit genommen sei, einen Überfall auszuführen. In diese Form einer Art moralischer Anklage gegen Deutschland werden nebulos untergetaucht alle anderen Ursachen dieses Krieges.

Es ist zweifellos, daß gegenüber dieser Anklage Deutschland in die Notwendigkeit versetzt ist, in ganz ungeschminkter Weise darzustellen, wie es in den Krieg hineingetrieben worden ist. Statt dessen hat man von den Kriegsursachen bisher nur doktrinäre Auseinandersetzungen, die so anmuten wie die Schlußfolgerungen eines Professors, der nicht erzählt, was er gesehen hat, sondern der aus Dokumenten darlegt, was sich ihm über ferne Ereignisse ergeben hat. Denn so sind auch alle Ausführungen des deutschen Reichskanzlers über die Vorgänge bei Kriegsausbruch gehalten. Solche Darlegungen aber sind ungeeignet, einen Eindruck zu machen. Man weist sie einfach zurück, indem man ihnen Unberechtigtes oder auch berechtigtes Anderes entgegensetzt.

Würde man dagegen einfach die Tatsachen erzählen, so würde sich folgendes ergeben:

1. Deutschland war im Sommer 1914 nicht bereit, die Initiative zu einem Kriege zu ergreifen.

2. Österreich-Ungarn war seit langem in die Notwendigkeit versetzt, irgend etwas zu unternehmen, das der ihm drohenden Gefahr entgegenwirkt, durch Zusammenschluß der Südslaven unter der Führung der außerösterreichischen Serben von Südosten her verkleinert zu werden. Man kann ruhig zugeben, daß die Ermordung des Erzherzogs Franz Ferdinand und die ganze Ultimatumsgeschichte nur ein Anlaß war. Wäre nicht dieser Anlaß ergriffen worden, so hätte bei nächster Gelegenheit eben ein anderer ergriffen werden müssen. Usterreich hätte eben nicht Österreich bleiben können, wenn es nicht irgend etwas zur Sicherung seiner Südost-Provinzen tat, oder durch eine großzügige andere Handlung die Slavenfrage zur Lösung bringen konnte. An dieser anderen Handlung hatte sich aber die österreichische Politik seit 1879 verblutet. Besser gesagt: sie hatte sich daran verblutet, daß diese andere Handlung nicht aufgefunden werden konnte. Man konnte eben der Slavenfrage nicht Herr werden. Soweit für die Entstehung des Krieges Österreich-Ungarn in Betracht kommt, und damit auch Deutschland, dessen Beteiligung erfolgte, weil es Österreich-Ungarn nicht im Stiche lassen konnte, ohne befürchten zu müssen, daß es nach einigen Jahren ohne Österreichs Bundesgenossenschaft der Entente gegenüberstehe -, soweit muß erkannt werden, daß die Slavenfrage den Grund enthält für die Entstehung dieses Krieges. Die «andere Handlung» ist also die internationale Lösung der Slavenfrage Sie ist gefordert von Österreich, nicht von Rußland. Denn Rußland wird immer seinen slavischen Grundcharakter in die Waagschale der Lösung werfen können. Österreich-Ungarn kann diesem Gewichte nur das der Befreiung der Westslaven entgegenstellen. Diese Befreiung kann nur unter dem Gesichtspunkte der Autonomisierung aller Zweige des Volkslebens vor sich gehen, welche das nationale Dasein und alles, was damit zusammenhängt, betreffen. Man darf eben nicht zurückschrecken vor der völligen Freiheit im Sinne der Autonomisierung und Föderalisierung des Volkslebens. Diese Föderalisierung ist vorgebildet im deutschen bundesstaatlichen Leben, das gewissermaßen das von der Geschichte vorgebildete Modell ist für dasjenige, was in Mitteleuropa fortgebildet werden muß bis zur völligen föderalistisch-freiheitlichen Gestaltung aller derjenigen Lebensverhältnisse, die ihren Impuls in dem Menschen selber haben, also nicht unmittelbar, wie die militärisch-politischen, von den geographischen, und, wie die wirtschaftlichen, von den geographisch-opportunistischen Verhältnissen abhängig sind. Die Gestaltung dieser Verhältnisse wird nur dann in gesunder Weise erfolgen, wenn das Nationale aus der Freiheit, nicht die Freiheit aus dem Nationalen entbunden wird. Strebt man statt des letzteren das erstere an, so stellt man sich auf den Boden des weltgeschichtlichen Werdens. Will man das letztere, so arbeitet man diesem Werden entgegen und legt den Grund zu neuen Konflikten und Kriegen.

Von den leitenden Staatsmännern Österreichs verlangen, daß sie deshalb das Ultimatum an Serbien hätten unterlassen sollen, hieße von ihnen verlangen, daß sie gegen das Interesse des von ihnen geleiteten Landes hätten handeln sollen. Ein solches Verlangen können Theoretiker irgendeiner Färbung stellen. Ein Mensch, der mit den vorhandenen Tatsachen rechnet, sollte im Ernste von dergleichen gar nicht sprechen. Denn hätten die Südslaven erreicht, was die führenden Großserben wollten, so wäre unter den Aktionen der übrigen österreichischen Slaven Österreich in der Form, in der es bestand, nicht zu erhalten gewesen. Man könnte sich noch vorstellen, daß eben dann Österreich eine andere Form bekommen hätte. Kann man aber einem leitenden österreichischen Staatsmanne zumuten, resigniert auf einen solchen Ausgang zu warten? Man könnte es offenbar nur, wenn man der Ansicht wäre, es gehöre zu den unbedingten Anforderungen eines österreichischen Staatsmannes, absoluter Pazifist zu sein und das Schicksal des Reiches fatalisch abzuwarten. Unter jeder anderen Bedingung muß man den Schritt Österreichs bezüglich des Ultimatums verstehen.

3. Hatte nun einmal Österreich das Ultimatum gestellt, dann war die weitere Folge der Ereignisse nur aufzuhalten, wenn Rußland sich passiv verhielt. Sobald Rußland einen aggressiven Schritt tat, war durch nichts das Weitere aufzuhalten.

4. Ebenso wahr, wie dies alles ist, ebenso wahr ist, daß jeder, der mit den Tatsachen rechnete, in Deutschland ein unbestimmtes Gefühl hatte: Wenn einmal die angedeuteten Verwicklungen in ein kritisches Stadium treten, dann werde es Krieg geben. Man werde diesem Kriege nicht entgehen können. Und verantwortliche Personen hatten die Meinung, man müsse, wenn er notwendig werde, diesen Krieg mit aller Kraft führen. Einen Krieg aus eigener Initiative heraus zu führen, hatte in Deutschland gewiß niemand die Absicht, der ernstlich in Betracht kommt. Man kann der Entente beweisen, daß sie nicht den geringsten Grund hatte, an einen Angriffskrieg von seiten Deutschlands zu glauben. Man kann sie zwingen zuzugeben, daß sie den Glauben hatte, Deutschland werde ohne Krieg so mächtig, daß diese Macht den heute in der Entente vereinigten Mächten gefährlich werde. Aber man wird die Führung derartiger politischer Beweise ganz anders machen müssen, als dies bisher geschehen ist; denn dieses ist keine politische Beweisführung, sondern nur die Aufstellung politischer Behauptungen, bei denen es den anderen belieben kann, sie brutal zu finden. Man glaubte auf seiten der Ententemächte, wenn die Dinge so fortgehen, dann könne man nicht wissen, was noch alles aus Deutschland werde; deshalb müsse ein Krieg mit Deutschland kommen. Deutschland konnte sich auf den Standpunkt stellen: wir brauchen keinen Krieg; aber wir erlangen ohne Krieg dasjenige, was uns die Ententestaaten ohne Krieg nicht lassen werden; deshalb müssen wir uns für diesen Krieg bereithalten und ihn, wenn er droht, so nehmen, daß wir durch ihn nicht zu Schaden kommen können. Dies alles gilt auch bezüglich der serbischen Frage und Österreichs. Mit Serbien konnte Österreich im Jahre 1914 nicht mehr ohne Krieg fertig werden, wenigstens mußte das die Überzeugung seiner Staatsmänner sein. Hätte aber die Entente befunden, daß man Österreich-Ungarn allein mit Serbien fertig werden lassen könnte, dann hätte es zu dem allgemeinen Kriege nicht kommen müssen. Der wahre Kriegsgrund darf also nicht bei den Mittelmächten gesucht werden, sondern darin, daß die Entente diese Mittelmächte nicht so lassen wolhe, wie sie nach dem Bestande von 1914 in ihren Machtverhältnissen waren. Wäre allerdings die oben gemeinte «andere Handlung» vor 1914 geschehen, dann hätten die Serben keine internationale Opposition gegen Österreich-Ungarn entwickelt, und sowohl das Ultimatum wie die Einmischung Rußlands hätte es nicht geben können. Und hätte sich Rußland aus reinen Eroberungsgründen gegen Mitteleuropa in irgendeinem Zeitpunkte gewendet, dann hätte es England nicht an seiner Seite finden können. Da das Unterseeboot bis zum Kriege ein reines Kriegsmittel war, Amerika aber ohne dieses Kriegsmittel absolut nicht in den Krieg mit den europäischen Mittel-mächten hätte kommen können, so braucht für die Friedensfrage nur England in dem angedeuteten Sinn in Rechnung gezogen zu werden.

5. Was nun der Welt mitgeteilt werden müßte, ist:

a) daß Deutschland, soweit die Persönlichkeiten in Betracht kommen, die über den Kriegsausbruch zu bestimmen hanen, vollständig von den Ereignissen im Juli1914 überrascht worden ist, daß diese niemand vorausgesehen hat. Insbesondere gilt dies von der Haltung Rußlands;

b) daß in Deutschland der verantwortlich Denkende nicht anders konnte, als annehmen, wenn Rußland angreife, werde dies auch Frankreich tun;

c) daß Deutschland für diesen Fall jahrelang seinen Zweifrontenkrieg vorbereitet hatte und nicht anders konnte, als bei den sich überstürzenden Ereignissen diesen ins Werk zu setzen, wenn es nicht von seiten der Westmächte eine sichere Garantie erhielt, daß Frankreich nicht angreife. Diese Garantie konnte nur von England kommen ;

d) daß, wenn England diese Garantie gegeben hätte, Deutschland nur gegen Rußland zum Kriege geschritten wäre;

e) daß die deutsche Diplomatie geglaubt habe, infolge des Verhältnisses, das sie in den letzten Jahren zu England angeknüpft hatte, werde England im Sinne einer solchen Garantie wirken;

f) daß die deutsche Diplomatie sich in bezug auf die bevorstehende Politik Englands vollständig getäuscht hat, und daß unter dem Eindrucke dieser Täuschung der Durchmarsch durch Belgien ins Werk gesetzt worden ist, den man unterlassen hätte, wenn England die angedeutete Garantie gegeben hätte. In ganz unzweideutiger Weise müßte der Welt verkündigt werden, daß der Einmarsch in Belgien erst ins Werk gesetzt worden ist, als die deutsche Diplomatie von der Mitteilung des Königs von England überrascht worden war, daß sie sich täusche, wenn sie auf eine solche Garantie von Englands Seite warte. Es ist unerfindlich, warum die deutsche Regierung nicht tut, was sie unzweideutig könnte: nämlich beweisen, daß sie den Einmarsch in Belgien nicht unternommen hätte, wenn das entscheidende Telegramm des Königs von England anders gelautet hätte. Von dieser entscheidenden Wendung hing wirklich der ganze weitere Verfolg des Krieges ab, und es ist von Deutschland nichts geschehen, um diese entscheidende Tatsache zur allgemeinen Kenntnis der Welt zu bringen. Man müßte, wenn man diese Tatsache richtig kennte, zwar sagen, die englische Politik ist an den entscheidenden Stellen in Deutschland falsch beurteilt worden, aber man könnte nicht verkennen, daß England der entscheidende Faktor in der belgischen Frage war. Eine Schwierigkeit böte eine solche Sprache Deutschlands allerdings gegenüber Rußland, weil dieses aus ihr ersehen würde, was es für diesen Krieg England verdankt. Diese Schwierigkeit könnte nur behoben werden, wenn es gelänge, Rußland zu zeigen, daß es von Englands Freundschaft weniger zu erwarten hat als von der Deutschlands. Dies kann natürlich nicht geschehen, ohne daß Deutschland es im jetzigen Augenblick unternimmt, im Verein mit Österreich-Ungarn eine großzügige Politik zu entfalten, durch die das ohne Kenntnis der europäischen Verhältnisse in die Welt gesetzte Programm Wilsons aus dem Feld geschlagen wird.

Es kann praktisch aussehen, zu sagen, es habe heute keinen Wert, über die Ursachen des Krieges zu sprechen. Es ist aber gegenüber den tatsächlichen Verhältnissen das Unpraktischeste, was sich nur denken läßt. Denn tatsächlich führt die Entente mit ihrer Darstellung der Kriegsursachen seit langem den Krieg. Die Situation, die sie sich geschaffen hat, verdankt sie dem Umstande, daß ihr ihre Darstellung geglaubt wird aus dem Grunde, weil ihr von Deutschland etwas Wirksames noch nicht erwidert worden ist. Während Deutschland zeigen könnte, daß es zum Kriegsausbruche nichts beigetragen hat, daß es in den Neutralitätsbruch gegenüber Belgien nur durch das Verhalten Englands getrieben worden ist, sind die offiziellen Darlegungen Deutschlands bis heute so gehalten, daß kein außerhalb Deutschlands lebender Mensch daran gehindert wird, sich das Urteil zu bilden, es habe in Deutschlands Hand gelegen, den Krieg nicht zu beginnen. Damit ist es nicht getan, daß man die Dokumente so zusammenstellt, wie es geschehen ist. Denn diese Zusammenstellung ergibt eben etwas, was von jedem angezweifelt werden kann, während die ungeschminkte Darstellung der Tatsachen in der Tat Deutschlands Unschuld ergeben müßte. Wer für solche Dinge Verständnis hat, der kann wissen, daß solche Reden, wie sie von den verantwortlichen Männern Deutschlands geführt werden, von den Psychen der Menschen in den feindlichen Ländern und auch in den neutralen überhaupt nicht verstanden und daher nur als Verschleierungen der Wahrheit genommen werden. Sagen, es hülfe nichts, anders zu sprechen gegenüber dem Hasse der Feinde, dazu hätte man nur ein Recht, wenn man auch nur den Versuch gemacht hätte, wirklich anders zu sprechen. Man sollte diesen Haß überhaupt nicht ins Feld führen, weil dies einfach naiv ist; denn dieser Haß ist nur Draperie des Krieges, ist nur die Ausschleimung derjenigen, die die unsäglich traurigen Ereignisse mit ihren Reden begleiten wollen oder müssen, oder derjenigen, welche in der Aufstachelung dieses Hasses ein wirksames Mittel suchen, dies oder jenes zu erreichen. Der Krieg wird aus den hinlänglich bekannten Ursachen von seiten Frankreichs und Rußlands geführt. Und er wird von der Seite Englands lediglich als Wirtschaftskrieg geführt; aber als Wirtschaftskrieg, der ein Ergebnis ist von alledem, was in England sich seit langem vorbereitet hat. Gegenüber den Realitäten der englischen Politik von der Einkreisung durch König Eduard und ähnlichen Kleinigkeiten zu sprechen ist so, wie wenn man einen Knaben von einem Pflocke weglaufen sieht, der nachher umfällt, und dann sagt, der Knabe habe den Pflock zu Fall gebracht, weil er an ihm etwas gerüttelt habe, während in der Tat der Pflock längst so beschädigt war, daß es von seiten des Knaben nur eines geringen Anstoßes bedurfte, um den Fall schließlich herbeizuführen. Die Wahrheit ist, daß England seit vielen Jahren es verstanden hat, eine aus den realen Verhältnissen Europas heraus orientierte Politik zu treiben in einem Sinn, der ihm günstig schien, der wie eine im naturwissenschaftlichen Charakter gehaltene Ausnützung der vorhandenen Völker- und Staatenkräfte war. Nirgends außer in England trug die Politik einen ganz sachgemäßen, in sich zusammenhängenden Charakter. Man nehme die auf dem Balkan treibenden Volkskräfte, man nehme hinzu, was in Österreich spielte, und man schaue von dem aus auf das, was in eingeweihten Kreisen vorhandene politische Formeln in England waren. Diese Formeln enthielten immer: Auf dem Balkan wird dies und jenes geschehen; England hat dabei dies zu tun. Und die Ereignisse bewegten sich in der angegebenen Richtung, und die englische Politik bewegte sich damit parallel. Man konnte in England in solche Formeln eingegliedert Sätze finden wie diesen: Das russische Reich wird in seiner gegenwärtigen Form zugrunde gehen, damit das russische Volk leben könne. Und diesesVolk ist so geartet in seinenVerhältnissen, daß man dort werde sozialistische Experimente ausführen können, für die es in Westeuropa keine Möglichkeit gibt. Wer die Politik Englands verfolgt, der kann sehen, daß sie stets im großen Stil darauf eingerichtet war, alle solche und viele andere Gesichtspunkte zugunsten Englands zu wenden. Und dabei kam ihm zugute, daß es in Europa allein von solchen Gesichtspunkten ausging und eben dadurch seine diplomatischen Vorsprünge sich ermöglichte. Seine Politik arbeitete stets im Sinne dessen, was im Sinne der wirklichen Volks- und Staatskräfte war, und sein Bestreben dabei war, im Sinne dessen sich diese Kräfte dienstbar zu machen, was in seinem wirtschaftlichen Vorteil war. Es arbeitete zu seinem Vorteil. Das tun andere selbstverständlich auch. Aber England arbeitete außerdem in der Richtung dessen, was sich durch die in ihm selbst liegenden Kräfte verwirklichen läßt, während andere auf die Beobachtung solcher Kräfte sich nicht einließen, ja wohl überhaupt nur ein vornehmes Lächeln gehabt hätten, wenn man ihnen von solchen Kräften gesprochen hätte. Englands ganze Staatsstruktur ist auf solches wirklich praktisches Arbeiten eingestellt. Andere werden erst dann eine der englischen gewachsene Staatskunst entfalten können, wenn das Angedeutete kein englisches Geheimnis mehr sein wird, sondern wenn es Gemeingut sein wird. Man denke nur, wie unendlich naiv es war, wenn man glaubte, von Deutschland aus mit dem Bagdadbahnproblem durchzudringen, da man von da aus dieses Problem so unternahm, als ob es überhaupt nur nötig wäre, an etwas zu gehen, wie an den Bau einer Straße, über deren Anlegung man sich mit seinen Nachbarn verständigt hat. Oder, um von etwas noch viel weiter Liegendem zu sprechen, wie dachte sich Österreich, sein Verhältnis zum Balkan zu ordnen, ohne Kräfte dabei ins Feld zu führen, die, aus den Volks- und Staatskräften des Balkan heraus gedacht, die Trümpfe Englands paralysieren konnten? England tat eben in einem gegebenen Zeitpunkte nicht nur das und jenes, sondern es lenkte international die Kräfte so, daß sie im rechten Momente in seiner Richtung liefen. Um das zu tun, muß man diese Kräfte erstens kennen und zweitens bei sich das entfalten, was im Sinne dieser Kräfte gelegen ist. Österreich-Ungarn also hätte zur rechten Zeit eine Handlung vollbringen müssen, die im Sinne der Südslavenkräfte diese in die österreichische Richtung gebracht, Deutschland hätte im Sinne der wirtschaftlich-opportunistischen Kräfte die Bagdadbahninteressen in seine Richtung bringen müssen, statt daß das erstere in die russische und damit in die russisch-englische Linie, das zweite in die englische Linie abgebogen ist.

Der Krieg muß in Mitteleuropa dazu führen, in bezug auf das im Völker-, Staats- und Wirtschaftsleben Vorhandene sehend zu werden. Dadurch allein kann man England zwingen, nicht weiter auf dem Wege einer überlegenen Diplomatie zu den anderen Staaten sich zu verhalten, sondern mit sich wie gleich zu gleich verhandeln zu lassen über dasjenige, was zwischen europäischen Menschengemeinschaften zu verhandeln ist. Ohne die Erfüllung dieser Bedingung ist alles Nachmachen des englischen Parlamentarismus in Mitteleuropa nichts anderes als ein Mittel, sich selbst Sand in die Augen zu streuen. In England werden sonst ein paar Leute immer Mittel undwege finden, ihreWirklichkeitspolitik durch ihr Parlament ausführen zu lassen, während doch ein deutsches und österreichisches Handeln nicht schon allein dadurch ein gescheites werden wird, daß es statt von ein paar Staatsmännern von einer Versammlung von etwa 500 Abgeordneten beschlossen wird. Man kann sich kaum etwas Unglücklicheres denken als den Aberglauben, daß es einen Zauber bewirken werde, wenn man zu dem übrigen, was man sich hat von England gefallen lassen, nun auch noch das fügt, daß man sich die demokratische Schablone von ihm aufdrängen läßt. Damit soll nicht gesagt werden, daß Mitteleuropa nicht im Sinne einer inneren politischen Gestaltung eine Fortentwickelung erfahren solle, allein eine solche darf nicht die Nachahmung des westeuropäischen sogenannten Demokratismus sein, sondern sie muß gerade dasjenige bringen, was dieser Demokratismus in Mitteleuropa wegen dessen besonderer Verhältnisse verhindern würde. Dieser sogenannte Demokratismus ist nämlich nur dazu geeignet, die Menschen Mitteleuropas zu einem Teile der englisch-amerikanischen Weltherrschaft zu machen, und würde man sich dazu auch noch auf die sogenannte zwischenstaatliche Organisation der gegenwärtigen Internationalisten einlassen, dann hätte man die schöne Aussicht, als Mitteleuropäer innerhalb dieser zwischenstaatlichen Organisation stets überstimmt zu werden.

Worauf es ankommt ist, aus dem mitteleuropäischen Leben heraus die Impulse zu zeigen, die hier wirklich liegen, und an denen die westlichen Gegner, wenn sie aufgezeigt werden, sehen werden, daß sie sich bei einer weiteren Fortsetzung des Krieges an ihnen verbluten müssen. Gegen Machtprätentionen können die Gegner ihre Macht setzen und werden es tun, solange es bei Prätentionen bleibt. Gegen wirkliche Machtkräfte werden sie die Waffen strecken. Wilsons so wirksamen Manifestationen muß entgegengehalten werden, was in Mitteleuropa wirklich zur Befreiung des Lebens der Völker getan werden kann, während seine Worte ihnen nichts zu geben vermögen als die anglo-amerikanische Weltherrschaft. Die Übereinstimmung mit Rußland braucht von einem mitteleuropäischen Programm der Wirklichkeit nicht gesucht zu werden; denn diese ergibt sich selbst. Ein solches mitteleuropäisches Programm darf nichts enthalten, was nur innere Staatsangelegenheit ist, sondern lediglich solches, was mit dem Verhältnis nach außen etwas zu tun hat. Aber selbstverständlich muß in dieser Richtung sachgemäß gesehen werden; denn ob ein Mensch gut denken kann, ist gewiß eine Angelegenheit seiner inneren Organisation, ob er aber durch dieses gute Denken nach außen in der oder jener Richtung wirkt, ist nicht eine innere Angelegenheit.

Deshalb kann nur ein mitteleuropäisches Programm das Wilsonische schlagen, das real ist, das heißt nicht das oder jenes Wünschenswerte betont, sondern das einfach eine Umschreibung dessen ist, was Mitteleuropa tun kann, weil es zu diesem Tun die Kräfte in sich hat. Dazu gehört:

1. Daß man einsehe: Gegenstand einer demokratischen Volksvertretung können nur die rein politischen, die militärischen und die polizeilichen Angelegenheiten sein. Diese sind nur möglich auf Grund des historisch gebildeten Untergrundes. Werden sie vertreten für sich in einer Volksvertretung und verwaltet von einer dieser Volksvertretung verantwortlichen Beamtenschaft, so entwickeln sie sich notwendig konservativ. Ein äußerer Beweis dafür ist, daß seit dem Kriegsausbruche selbst die Sozialdemokratie in diesen Dingen konservativ geworden ist. Und sie wird es noch mehr werden, je mehr sie gezwungen wird, sinn- und sachgemäß dadurch zu denken, daß in den Volksvertretungen wirklich nur politische, militärische und polizeiliche Angelegenheiten der Gegenstand sein können. Innerhalb einer solchen Einrichtung kann sich auch der deutsche Individualismus entfalten mit seinem bundesstaatlichen System, das nicht eine zufällige Sache ist, sondern das im deutschen Volkscharakter enthalten ist.

2. Alle wirtschaftlichen Angelegenheiten werden geordnet in einem besonderen Wirtschaftsparlamente. Wenn dieses entlastet ist von allem Politischen und Militärischen, so wird es seine Angelegenheiten rein so entfalten, wie es diesen einzig und allein angemessen ist, nämlich opportunistisch. Die Verwaltungsbeamtenschaft dieser wirtschaftlichen Angelegenheiten, innerhalb deren Gebiet auch die gesamte Zollgesetzgebung liegt, ist unmittelbar nurdemWirtschaftsparlamente verantwortlich.

3. Alle juristischen, pädagogischen und geistigen Angelegenheiten werden in die Freiheit der Personen gegeben. Auf diesem Gebiete hat der Staat nur das Polizeirecht, nicht die Initiative. Es ist, was hier gemeint ist, nur scheinbar radikal. In Wirklichkeit kann sich nur derjenige an dem hier gemeinten stoßen, der den Tatsachen nicht unbefangen ins Auge sehen will. Der Staat überläßt es den sach-, berufs- und völkermäßigen Korporationen, ihre Gerichte, ihre Schulen, ihre Kirchen und so weiter zu errichten, und er überläßt es dem einzelnen, sich seine Schule, seine Kirche, seinen Richter zu bestimmen. Natürlich nicht etwa von Fall zu Fall, sondern auf eine gewisse Zeit. Im Anfange wird dies wohl durch die territorialen Grenzen beschränkt werden müssen, doch trägt es die Möglichkeit in sich, auf friedlichem Wege die nationalen Gegensätze - auch andere - auszugleichen. Es trägt sogar die Möglichkeit in sich, etwas Wirkliches zu schaffen an Stelle des schattenhaften StaatenSchiedsgerichts. Nationalen oder anderweitigen Agitatoren werden dadurch ihre Kräfte ganz genommen. Kein Italiener in Triest fände Anhänger in dieser Stadt, wenn jedermann seine nationalen Kräfte in ihr entfalten könnte, trotzdem aus selbstverständlichen opportunistischen Gründen seine wirtschaftlichen Interessen in Wien geordnet werden, und trotzdem sein Gendarm von Wien aus bezahlt wird.

Die politischen Gebilde Europas könnten sich so auf Grundlage eines gesunden Konservativismus entwickeln, der nie auf Zerstückelung Österreichs, sondern höchstens auf seine Ausdehnung bedacht sein kann.

Die wirtschaftlichen Gebilde würden sich opportunistisch gesund entwickeln; denn niemand kann Triest in einem Wirtschaftsgebilde haben wollen, in dem es wirtschaftlich zugrunde gehen muß, wenn ihn das Wirtschaftsgebilde nicht hindert, kirchlich, national und so weiter zu tun, was er will.

Die Kulturangelegenheiten werden von dem Drucke befreit, den auf sie die wirtschaftlichen und politischen Dinge ausüben, und sie hören auf, auf diese einen Druck auszuüben. Alle diese Kulturangelegenheiten werden fortdauernd in gesunder Bewegung erhalten. Eine Art Senat, gewählt aus den drei Körperschaften, welchen die Ordnung der politisch-militärischen, wirtschaftlichen und juristisch-pädagogischen Angelegenheiten obliegt, versieht die gemeinsamen Angelegenheiten, wozu auch zum Beispiel die gemeinsamen Finanzen gehören.

Die Ausführbarkeit des in dieser Darstellung Angeführten wird niemand bezweifeln, der aus den wirklichen Verhähnissen Mitteleuropas heraus denkt. Denn hier wird überhaupt nichts gefordert, was durchgeführt werden soll, sondern es wird nur aufgezeigt, was sich durchführen will, und was in demselben Augenblicke gelingt, in dem man ihm freie Bahn gibt.

Erkennt man dieses, dann wird vor allem klar, warum wir diesen Krieg haben und warum er unter der falschen Flagge der Völkerbefreiung ein Krieg ist zur Unterdrückung des deutschenVolkes, im weiteren Sinne zur Unterdrückung alles selbständigen Volkslebens in Mitteleuropa. Entkleidet man das Wilsonsche Programm, das als die neueste Umschreibung aus den Deckprogrammen der Entente hervorgegangen ist, so kommt man darauf, daß seine Ausführung nichts anderes bedeuten würde als den Untergang dieser mitteleuropäischen Freiheit. Daran hindert nicht, daß Wilson von der Freiheit der Völker redet; denn die Welt richtet sich nicht nach Worten, sondern nach Tatsachen, die aus der Verwirklichung dieser Worte folgen. Mitteleuropa braucht wirkliche Freiheit, Wilson aber redet gar nicht von einer wirklichen Freiheit. Die ganze westliche Welt hat von dieser wirklichen für Mitteleuropa nötigen Freiheit überhaupt keinen Begriff. Man redet da von Völkerfreiheit und meint dabei nicht die wirkliche Freiheit der Menschen, sondern eine schimärische Kollektivfreiheit vonMenschenzusammenhängen, wie sie sich in den westeuropäischen Staaten und in Amerika herausgebildet haben. Nach den besonderen Verhältnissen Mitteleuropas kann sich diese Kollektivfreiheit nicht aus internationalen Verhältnissen heraus ergeben, also darf sie nie und nimmer Gegenstand einer internationalen Abmachung sein, wie sie einem Friedensschlusse zugrunde liegen kann. In Mitteleuropa muß die Kollektivfreiheit der Völker aus der allgemeinen menschlichen Freiheit sich ergeben, und sie wird sich ergeben, wenn man durch Ablösung aller nicht zum rein politischen, militärischen und wirtschaftlichen Leben gehörigen Lebenskreise dafür freie Bahn schafft. Es ist ganz selbstverständlich, daß gegen solche Loslösung diejenigen, welche stets nur mit ihren Ideen, nicht mit der Wirklichkeit rechnen, solche Einwände erheben, wie man sie in einem eben erschienenen Buche findet, nämlich in Kriecks «Die deutsche Staatsidee» auf Seite 167 f.: «Gelegentlich wurde früher, unter anderen von E. von Hartmann, die Forderung nach einem Wirtschaftsparlamente neben der Volksvertretung erhoben. Der Gedanke liegt ganz in der Richtung der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwickelung. Abgesehen aber davon, daß ein neues großes Rad die ohnehin reichliche Unbeholfenheit und Reibung der Maschine vermehren würde, wäre die Zuständigkeit zweier Parlamente unmöglich gegeneinander abzugrenzen.»

Bei diesem Gedanken sollte nun doch wohl darauf gesehen werden, daß hier zugegeben werden muß, er ergibt sich aus den wirklichen Verhältnissen der Entwickelung, muß also durchgeführt werden und darf nicht gegen die Entwickelung abgewiesen werden, weil man seine Verwirklichung schwer findet. Macht man nämlich in der Wirklichkeit 346 vor solchen Schwierigkeiten halt, so schafft man Verwickelungen, die sich später gewaltsam entladen.Und letzten Endes ist dieser Krieg in der Eigentümlichkeit, in der er sich auslebt, die Entladung von Schwierigkeiten, die man versäumt hat, auf dem richtigen, anderen Wege hinwegzuräumen, solange es dazu noch Zeit war.

Das Wilsonsche Programm geht davon aus, das in der Welt unmöglich zu machen, was die berechtigte Aufgabe und die Lebensbedingung der mitteleuropäischen Staaten ist. Ihm muß entgegengehalten werden, was in Mitteleuropa geschehen wird, wenn dieses Geschehen nicht gestört wird durch die gewaltsame Zerstörung des mitteleuropäischen Lebens. Es muß ihm gezeigt werden, was nur Mitteleuropa auf Grund des hier historisch Gewordenen tun kann, wenn es sich nicht mit der Entente verbindet, die gar kein Interesse daran haben kann, Mitteleuropa seiner naturgemäßen Entwickelung entgegenzuführen.

So wie die Dinge heute liegen, haben Deutschland und Österreich nur die Wahl zwischen den folgenden drei Dingen:

1. Unter allen Umständen auf einen Sieg ihrer Waffen zu warten, und von ihm die Möglichkeit zu erhoffen, ihre mitteleuropäische Aufgabe ausführen zu können.

2. Mit der Entente auf Grund deren jetzigen Programms einen Frieden einzugehen und damit ihrer sicheren Zerstörung entgegenzugehen.

3. Zu sagen, was sie im Sinne der wirklichen Verhältnisse als das Ergebnis eines Friedens betrachten werden, und damit die Welt vor die Möglichkeit zu stellen, nach klarer Einsicht in die Verhältnisse und in das Wollen Mitteleuropas die Völker wählen zu lassen zwischen einem Tatsachenprogramm, das den europäischen Menschen die wirkliche Freiheit und damit ganz selbstverständlich die Freiheit der Völker bringt, oder den Scheinprogrammen des Westens und Amerikas, die von Freiheit reden, in Wirklichkeit aber für ganz Europa die Unmöglichkeit des Lebens bringen. Wir in Mitteleuropa machen vorläufig den Eindruck, als ob wir uns vor dem Westen scheuten zu sagen, was wir wollen müssen, während dieser Westen uns nur so überschüttet mit den Kundgebungen seines Wollens. Dadurch ruft dieser Westen den Eindruck hervor, daß nur er etwas will für das Heil der Menschheit, und wir nur bestrebt seien, diese löblichen Bestrebungen durch allerlei solche Dinge wie Militarismus zu stören, während er dadurch, daß er sich seit langem darauf eingerichtet hat und weiter darauf noch besser einrichten will, uns zu Schattenmenschen zu machen, in Wahrheit der Schöpfer unseres Militarismus ist. Gewiß sind solche und ähnliche Dinge oft gesagt worden, doch darauf kommt es nicht an, daß sie von dem oder jenem gesagt werden, sondern darauf, daß sie das Leitmotiv mitteleuropäischen Handelns wirklich werden, und die Welt erkennen lernt, daß sie von Mitteleuropa kein anderes Handeln zu erwarten hat als ein solches, das zum Schwerte greifen muß, wenn die anderen ihm dieses Schwert in die Hände zwingen. Was jetzt die Westvölker deutschen Militarismus nennen, haben sie in jahrhundertelanger Entwickelung geschmiedet, und nur an ihnen, nicht an Deutschland kann es sein, ihm für Mitteleuropa seinen Sinn zu nehmen. An Mitteleuropa aber ist es, sein Wollen für die Freiheit klar hinzustellen, ein Wollen, das nicht in Wilsonscher Art auf Programme gebaut sein kann, sondern auf die Wirklichkeit des Menschendaseins. Es gibt daher für Mitteleuropa nur ein Friedensprogramm, und das ist: Die Welt wissen zu lassen, ein Friede ist sofort möglich, wenn die Entente an die Stelle ihres jetzigen, unwahren Friedensprogramms ein solches setzt, das wahr ist, weil es in seiner Verwirklichung nicht den Untergang, sondern die Lebensmöglichkeit Mitteleuropas herbeiführt. Alle anderen Fragen, die Gegenstand von Friedensbestrebungen werden können, lösen sich, wenn sie auf Grundlage dieser Voraussetzungen in Angriff genommen werden. Auf der Grundlage, die jetzt von der Entente uns dargeboten wird, und die von Wilson aufgenommen worden ist, ist ein Friede unmöglich. Tritt kein anderes an die Stelle, so könnte das deutsche Volk nur durch Gewalt zur Annahme dieses Programmes gebracht werden, und der weitere Verlauf der europäischen Geschichte würde die Richtigkeit des hier Gesagten beweisen, denn bei Verwirklichung des Wilsonschen Programmes gehen die europäischen Völker zugrunde. Man muß eben in Mitteleuropa ohne Illusion dem ins Auge schauen, was diejenigen Persönlichkeiten seit vielen Jahren als ihren Glauben haben, den sie von ihrem Gesichtspunkte aus als das Gesetz der Weltentwickelung betrachten: daß der anglo-amerikanischen Rasse die Zukunft der Weltentwickelung gehört, und daß sie das Erbe der lateinisch-romanischen Rasse und die Erziehung des Russentumes zu übernehmen hat. Bei der Anführung dieser weltpolitischen Formel durch einen sich eingeweiht dünkenden Engländer oder Amerikaner wird stets bemerklich gemacht, daß das deutsche Element bei der Ordnung der Welt nicht mitzusprechen hat wegen seiner Unbedeutendheit in weltpolitischen Dingen, daß das romanische Element nicht berücksichtigt zu werden braucht, weil es ohnedies im Aussterben ist, und daß das russische Element derjenige hat, der sich zu seinem weithistorischen Erzieher macht. Man könnte von einem solchen Glaubensbekenntnis gering denken, wenn es im Kopfe einiger für politische Phantasien oder Utopien zugänglicher Menschen lebte, allein die englische Politik benützt unzählige Wege, um dieses Programm praktisch zum Inhalte seiner wirklichen Weltpolitik zu machen, und vom Gesichtspunkte Englands aus könnte die gegenwärtige Koalition, in der es sich befindet, nicht günstiger sein, als sie ist, wenn es sich um die Verwirklichung dieses Programmes handelt. Es gibt aber nichts, das Mitteleuropa dem entgegensetzen kann, als ein wirklich menschenbefreiendes Programm, das in jedem Augenblick Tat werden kann, wenn menschlicher Wille sich für seine Verwirklichung einsetzt. Man kann ja vielleicht denken, daß der Friede auch lange auf sich warten lassen wird, auch wenn das hier gemeinte Programm vor die europäischen Völker hingestellt wird, da es ja während des Krieges nicht ausgeführt werden kann und überdies von den Ententevölkern so hingestellt werden würde, als ob es von den Führern Mitteleuropas nur zur Täuschung der Völker hingestellt wäre, während nach dem Kriege einfach wieder das eintreten würde, was die Ententeführer als das Schreckliche hinstellen, das sie aus moralischen Gründen in einem «Kampfe für Freiheit und Recht der Völker aus der Welt schaffen müßten». Aber wer die Welt richtig beurteilt nach den Tatsachen, nicht nach seinen Lieblingsmeinungen, der kann wissen, daß alles, was Wirklichkeiten entspricht, einen ganz anderen Überzeugungswert hat als dasjenige, was aus der bloßen Willkür stammt. Und man kann ruhig abwarten, was sich bei denjenigen zeigen wird, die einsehen werden, mit dem Programme Mitteleuropas gehen den Völkern der Entente nur die Möglichkeiten verloren, Mitteleuropa zu zertrümmern, nicht aber fließt aus ihm irgend etwas, was mit irgendeinem wirklichen Lebensimpuls der Ententevölker unverträglich wäre. Solange man sich im Gebiete der maskierten Bestrebungen befindet, wird eine Verständigung ausgeschlossen sein; sobald man hinter den Masken die Wirklichkeiten nicht nur militärisch, sondern auch politisch zeigen wird, wird eine ganz andere Gestalt der gegenwärtigen Ereignisse beginnen. DieWaffen Mitteleuropas hat die Welt zum Heile dieses Mitteleuropa kennen gelernt, das politische Wollen ist, soweit Mitteleuropa in Betracht kommt, der Welt ein Buch mit sieben Siegeln. Dafür bekommt die Welt jeden Tag die Schilderung eines Schreckbildes, welch ein furchtbares, zerstörungswürdiges Ding dieses Mitteleuropa eigentlich ist. Und es sieht für die Welt so aus, als ob Mitteleuropa zu diesem Schreckbilde nur zu schweigen hätte, was selbstverständlich der Welt wie ein Ja-sagen zu demselben erscheinen muß.

Es ist ganz selbstverständlich, daß jedem unzählige Bedenken aufsteigen, wenn er sich Gedanken darüber machen will, wie das hier Angedeutete im einzelnen durchgeführt werden soll, allein solche Bedenken kämen nur in Betracht, wenn das Vorliegende als ein Programm gedacht wäre, an dessen Verwirklichung ein einzelner oder eine Gesellschaft gehen sollte. So ist es aber nicht gedacht, ja es widerlegte sich selber, wenn es so gedacht wäre.

Es ist als der Ausdruck dessen gedacht, was die Völker Mitteleuropas tun werden, wenn man sich von seiten der Regierungen die Aufgabe stellen wird, die Volkskräfte zu erkennen und zu entbinden. Was im einzelnen geschehen wird, das zeigt sich bei solchen Dingen immer dann, wenn sie sich auf den Weg der Verwirklichung begeben. Denn sie sind nicht Vorschriften über etwas, was zu geschehen hat, sondern Voraussagen dessen, was geschehen wird, wenn man die Dinge auf ihre durch die eigene Wirklichkeit geforderte Bahn gehen läßt. Und diese eigene Wirklichkeit schreibt vor, bezüglich aller religiösen und geistig-kulturellen Angelegenheiten, wozu auch das Nationale gehört, Verwaltung durch Korporationen, zu denen sich die einzelne Person aus freiem Willen bekennt, und die in ihrem Parlamente als Korporationen verwaltet werden, so daß dieses Parlament es nur mit der betreffenden Korporation, nie aber mit der Beziehung dieser Korporation zu der einzelnen Person zu tun hat. Und nie darf es eine Korporation mit einer unter demselben Gesichtspunkte zu einer anderen Korporation gehörigen Person zu tun haben. Solche Korporationen werden aufgenommen in den Kreis des Parlamentes, wenn sie eine bestimmte Anzahl von Personen vereinigen. Bis dahin bleiben sie Privatsache, in die sich keine Behörde oder Vertretung zu mischen hat. Für wen es ein saurer Apfel ist, daß von solchen Gesichtspunkten aus alle geistigen Kulturangelegenheiten künftig der Privilegierung entbehren müssen, der wird eben in diesen sauren Apfel zum Heile des Volksdaseins beißen müssen. Bei der immer weitergehenden Gewöhnung an diese Privilegierung wird man ja in vielen Kreisen schwer einsehen, daß man auf dem Wege von der Privilegierung gerade der geistigen Berufe zum guten alten, uralten Prinzipe der freien Korporierung zurückkehren muß. Und daß die Korporation zwar einen Menschen in seinem Berufe tüchtig machen soll, daß man aber die Ausübung dieses Berufes nicht privilegieren, sondern der freien Konkurrenz und der freien menschlichen Wahl überlassen muß. Das wird von allen denen schwer einzusehen sein, die gern davon sprechen, daß die Menschen doch zu dem oder jenem nicht reif seien. In der Wirklichkeit wird dieser Einwand ja ohnedies nicht in Betracht kommen, weil mit Ausnahme der notwendig freien Berufe über die Wahl der Petenten die Korporation entscheiden wird. Ebensowenig können sich Schwierigkeiten ergeben bezüglich des Politischen und des Wirtschaftlichen, die nicht real behebbar wären bei Verwirklichung des Intendierten. Wie zum Beispiel pädagogische Institutionen zustande kommen müssen, die in ihren Richtlinien die beiden, nicht die eigentliche Pädagogik in sich schließenden Vertretungen berühren, das ist Sache des übergeordneten Senates.

 

 

 

 

Zweites Memorandum (letzte Fassung)

«Kein Volk darf gezwungen werden, unter einer anderen Herrschaft zu leben, der es widerstrebt. Besitzwechsel und Rückkehr in früher gültige Hoheitsverhältnisse ist nur in den Ländern zu gestatten, wo das Volk selbst zur Sicherung seiner Freiheit, seines Behagens und Zukunftsglücks Wechsel und Rückkehr verlangt... Die befreiten Völker der ganzen Erde müssen sich in aufricbtigem Gemeinschaftsempfinden... zu einem festen Bunde verknüpfen, der mit den geeinten Kräften aller den Frieden und die Gerechtigkeit im Völkerverkehr zu schirmen vermag. Brüderlichkeit darf nicht länger ein leeres Wort sein, muß ein allgemein anerkannter Begriff werden, der auf dem Felsen der Wirklichkeit ruht.»

 

So umschreibt Herr W.Wilson, was durch die Teilnahme Amerikas an diesem Kriege Wirklichkeit werden soll. Bestechende Worte sind es, denen gegenüber man sagen kann, daß sich jeder vernünftige Mensch mit gesundem Empfinden zu ihnen bekennen müsse. Schriebe sie ein schriftstellernder Menschenfreund zur Erbauung eines Leserkreises nieder, man könnte bei der Anerkennung ihrer Selbstverständlichkeit stehen bleiben. Man könnte auch mit der Geste des Moralisten versichern, daß der kein Freund des Fortschrittes und der Freiheit sein könne, der etwas dagegen einwenden will. Man kann sogar heute schon Stimmen vernehmen, die betonen, daß dieser Krieg doch die Lehre gebracht habe: Nur derjenige treibe gegenwärtig höhere, zeitgemäße Politik, der sich zu einem solchen oder einem ähnlichen Ideale bekenne und sein Handeln danach einrichte.

Reden über «Anschauungen» und davon, daß diese oder jene Anschauung vertreten werden müsse, weil man an sie glaubt, führt niemals zu einer Grundlage für das praktische Handeln. Dazu taugt allein, die Wirklichkeit scharf ins Auge zu fassen. Für den Angehörigen der mitteleuropäischen Staaten kann keine Auseinandersetzung über die «allgemein-menschliche» Berechtigung der Ententeziele, gewissermaßen eine solche über ihre «Schönheit» von Wert sein, sondern allein die Erkenntnis von ihrem wirklichen Kräfteverhältnis im Völkerleben. Deshalb wird im folgenden die für Europa wirkliche Gestalt der Ententeziele ins Auge gefaßt ohne Rücksicht darauf, daß das, was hier gesagt wird, den Ententeführern nicht angenehm klingen kann.Nur durch ein so orientiertes Denken kann man zu praktischen Impulsen kommen. Die Dinge werden etwas scharf formuliert werden, weil sie dieses aus den angegebenen Gründen müssen. Ausdrücklich bemerkt soll werden, daß vorhandene Stimmungen bei dieser Formulierung keine Rolle spielen sollen, sondern allein die nüchterne Beobachtung der Tatsachen in den letzten Jahrzehnten. Was die Entente will, einzusehen, muß Grundlage sein für die in Mitteleuropa zu findenden Richtlinien; sich blenden lassen durch das, was sie sagt, führt auf die schlimmsten Abwege.

Es ist jedenfalls eine undankbare Aufgabe, gezwungen zu sein, sich gegen Vorstellungen wenden zu müssen, welche in hohem Grade die Vernunft und das Herz der Menschen für sich zu haben scheinen. Die noch dazu das Ergebnis der «wahren geschichtlichen Entwickelung der Menschheit zur edelsten Demokratie» zu sein scheinen. Und dennoch muß das folgende auf der Grundlage erbaut sein, daß das Bekenntnis zu Wilsons Wollen nicht nur den Angehörigen der mittel- und osteuropäischen Völker ein logisches Laster sein muß, sondern auch, daß innerhalb dieses Krieges und nach demselben jede einzelne Handlung und Maßnahme so geschehen müssen, daß dieses Wilsonsche und Entente-Wollen an der Gesundheit und Fruchtbarkeit dieser Maßnahmen und Handlungen sich brechen muß.

In den Ausdruck, den Herr Wilson seinem Wollen gegeben hat, sind die nach Verdunklung ihrer wahren Gestalt strebenden Kriegsziele der Entente auf fragwürdige Art hineingeheimnist. Man hat es mit den letzteren zugleich zu tun, wenn man sich mit den ersteren zu schaffen macht. Auf eine noch so geistreiche begriffliche Widerlegung des Wilsonschen «Programmes» darf es in dieser Zeit nicht ankommen. Man hat es gegenwartig nicht mit Auseinandersetzungen zu tun, die entscheiden sollen, wer recht oder unrecht hat. Auf dem Felde, um das es sich hier handelt, hat nur Wert, was geschieht oder was den Keim für das Geschehen in sich trägt. Und Gedanken, die in Mitteleuropa als Keime für das Handeln von heute und morgen gedacht und gesprochen werden, haben nur Wert, wenn sie in diesem Sinne gehalten sind.

Wilsons Worte sind nicht von einem schriftstellernden Menschenfreund gesprochen. Sie sind die Fahne der Taten, zu denen sich die Amerikaner waffnen, und welche die Entente seit drei Jahren gegen Mitteleuropa vollbringt. Die Tatsachen stehen so, daß Mitteleuropa gegen das zu kämpfen hat, das hinter dieser Fahne behauptet, zum Heile der Menschheit, zur Befreiung der Völker zu Felde zu ziehen. Die Entente und Wilson sagen, wofür sie zu kämpfen vorgeben. Ihre Worte haben Werbekraft. Ihre Werbekraft wird immer bedenklicher. Es gibt Menschen in Mitteleuropa, die gewiß nicht eingestehen wollen, daß sie Wilson nachsprechen, deren Ideen aber dessen Worten nicht unähnlich klingen.

Wer den Ursprung dieses Krieges in einem tieferen Sinne kennt, der kann nicht anders, als die Notwendigkeit betonen, daß das Entente-Wilson-Programm durch Mitteleuropa die schärfste Zurückweisung durch Tatsachen erfährt. Denn das real Aussichtsvolle dieses Programmes - neben seinem moralisch Blendenden - liegt darin, daß es die Instinkte der mittel- und osteuropäischen Völker dazu benützen will, diese Völker durch moralisch-politische Überrumpelung in wirtschaftliche Abhängigkeit von dem Anglo-Amerikanismus zu bringen. Die geistige Abhängigkeit würde dann nur die notwendige reale Folge sein. Wer weiß, daß man in englischen eingeweihten Kreisen seit dem vorigen Jahrhundert von dem «kommenden Weltkriege» sprach als von dem Ereignis, das der anglo-amerikanischen Rasse die Weltherrschaft bringen müsse, der kann keinen besonderen Wert darauf legen, daß die Führer der Ententevölker sagen, sie seien von diesem Kriege überrascht worden oder sie haben ihn verhindern wollen, selbst wenn diese Versicherungen bei denen, die sie augenblicklich aussprechen, subjektive Wahrheit haben sollten. Denn diejenigen, welche von dem «kommenden Weltkrieg» als einem unabwendbaren Ereignisse sprachen, rechneten mit den wirklichen historisch-völkischen Kräften Europas. Sie rechneten mit den Instinkten der europäischen, namentlich der slavischen Völker. Und sie wollten die Ideale dieser slavischen Völker so lenken und so benützen, daß sie dem Völkeregoismus des Anglo-Amerikanertums dienstbar seien. Sie rechneten ferner mit dem Untergange des Romanentums, auf dessen Trummern sie sich selbst ausbreiten wollen. Sie rechneten also mit großzügigen, historisch-völkischen Gesichtspunkten, die sie in den Dienst ihrer eigenen Ziele stellen wollen. Und diese Ziele führen, ob dieses auch noch so stark abgeleugnet wird von Ententeseite aus, zur Absicht, die mitteleuropäischen Staatsgebilde zu zermalmen.

Das Richtige ist, ganz nüchtern zu betonen, daß das Ziel der Ententeführer die Zerdrückung Mitteleuropas ist, denn nur die Betonung dieses Zieles kann die Antwort sein auf die so wirksamen Entente-Aussagen; aber eine Antwort, die gewissermaßen negativ ist, weil sie das widerlegen will, was auf der Ententeseite gesagt wird, hat keinen Wert. Deshalb soll die folgende Antwort positiv sein, das heißt auf die Tatsachen hinweisen, die von Mitteleuropa aus der Entente gegenüberstehen.

Nur die Erkenntnis, daß dies so ist, kann Mitteleuropa diejenigen Impulse bringen, welche aus dem Chaos der Gegenwart herausführen. Die mitteleuropäischen Staatengebilde können sich nur auf den Standpunkt stellen, das Ententeprogramm durch ihre eigenen Maßnahmen unwirksam zu machen. Dieses Ententeprogramm beruht - ob mehr oder weniger ausgesprochen oder unausgesprochen - auf drei Voraussetzungen:

1. daß die historisch gewordenen mitteleuropäischen Staatsgebilde nicht als diejenigen - vom Standpunkte der Entente - anerkannt werden dürfen, welchen es obliegt, die europäischen Völkerprobleme zu lösen;

2. daß diese mitteleuropäischen Staatsgebilde wirtschaftlich nicht in einem Konkurrenz-, sondern in einem Abhängigkeitsverhältnisse vom Anglo-Amerikanertum stehen müssen;

3. daß die kulturellen (geistigen) Verhältnisse Mittel-und Osteuropas geordnet werden, wie es im Sinne des Volksegoismus des Anglo-Amerikanertums ist.

Nur wer vermag zu erkennen, daß die Übersetzung dieser drei Punkte in die Wilson-Entente-Sprache die ist, welche Wilson in seinem Sendschreiben an die Russen angewendet hat, der durchschaut, um was es sich handelt.

Es könnte auch sein, daß wir durch die zwingende Lage der Tatsachen in der nächsten Zeit einen Frieden erhalten. Vielleicht, wenn England sieht, daß es sich augenblicklich nicht mehr halten kann, ohne seine Zustimmung zur Beendigung des Krieges zu geben. Das alles ändert am Wesentlichen auf Seite des Anglo-Amerikanismus nichts. Wenn es dieses Anglo-Amerikanertum möglich findet, den Krieg fortzusetzen, dann wird es weiter die drei obigen Punkte in die Formel des Wilsonschen Sendschreibens kleiden: «Nach diesem Ziel haben wir immer hingestrebt, und knauserten wir jetzt mit Blut und Geld, so kämen wir vielleicht nie in die Einheit und Kraft, die im Kampfe für die große Sache der Menschheitsbefreiung notwendig sind.» Sind die führenden Mächte Englands genötigt, in der nächsten Zeit den Krieg zu Ende kommen zu lassen, dann wird die künftige Politik, die im Sinne der obigen drei Punkte weiter orientiert sein würde, in die Formel gebracht werden: «Wir haben für die Menschheitsbefreiung Geld und Blut opfern wollen, wir haben es auch in hohem Grade getan, während die mitteleuropäischen Mächte nur auf das Entgegengesetzte bedacht waren. Wir haben gegen die Gewalt vorläufig nur Teilweises erreichen können. Unser Ziel steht uns ungeschmälert vor Augen, weil es das Ziel der Menschheit selber ist.»

Dem, was in diesen Absichten tatsächlich liegt, wird man nur wirklich gewachsen sein, wenn man in Mitteleuropa praktisch nach der Erkenntnis handelt: Im Westen nennt man die Herrschaft des Anglo-Amerikanertumes Menschheitsbefreiung und Demokratie. Und weil man das tut, erzeugt man den Schein, als ob man auch wirklich ein Menschenbefreier sein wolle.

Wirksam gegen die Folgen dieses ungeheuerlichen Blendwerkes, gegen die Folgen eines selbstverständlichen Rassenegoismus im Gewande einer unmöglichen Moral kann nur sein die eigene Einstellung Mitteleuropas auf die volle Wahrheit der Tatsachen. Und diese Wahrheit ist:

1. Mit der Erreichung der Ententeziele in bezug auf die mitteleuropäischen Staatsgebilde geht die wirkliche europäische Freiheit verloren. Denn diese Staatsgebilde können sie verwirklichen, weil sie im Interesse dieser Staatsgebilde selber liegt, und Staaten nicht anders handeln können, als indem sie ihre Interessen im Auge haben. Der Anglo-Amerikanismus kann diese Völkerfreiheit nicht verwirklichen, weil sie, sobald sie vorhanden ist, gegen das Interesse der anglo-amerikanischen Staatsgebilde ist, solange dies Interesse so ist, wie es jetzt ist, und wie es diesem Kriege mit tatsächlicher Notwendigkeit sein Gepräge gegeben hat. Die anglo-amerikanischen Staaten müssen eben einsehen, daß sie das Interesse der mitteleuropäischen Staaten neben sich respektieren müssen, und daß sie die Ordnung der mitteleuropäischen Völkerfreiheit den mitteleuropäischen Staaten überlassen müssen, die allein ihr wirkliches Staatsinteresse in der Förderung dieser Freiheit sehen können.

2. Dieser Krieg ist vom mitteleuropäischen Gesichtspunkte aus nach Osten hin ein Völkerkrieg, nach Westen - gegen England-Amerika - ein Wirtschaftskrieg. Der Revanchekrieg gegen Frankreich ist nur durch die Verquickung der Revancheidee mit den englisch-amerikanischen Wirtschaftsinteressen und den russisch-slavischen Völkeridealen möglich geworden.

3. Die Völkerbefreiung ist möglich. Sie kann aber nur das Ergebnis, nicht die Grundlage der Menschenbefreiung sein. Sind die Menschen befreit, so werden es durch sie die Völker.

Mitteleuropa kann, wenn es will, im Sinne dieser drei Grundlagen handeln. Und sein Handeln wird ein Tatsachenprogramm sein; es wird so handeln, wenn es ein sachliches Programm der Menschheitsbefreiung dem Entente-Wilsonschen Programme entgegenstellen wird, welches ganz ohne alle Kenntnis der mitteleuropäischen Völkerkräfte von etwas spricht, das in der Welt der Tatsachen nicht, sondern nur in den Aspirationen der anglo-amerikanischen Rassenegoismen vorhanden ist. Das hier für Mitteleuropa als richtig angesehene Programm ist nicht radikal in dem Sinne, in dem man in vielen Kreisen vor dem Radikalismus zurückschreckt. Es ist vielmehr nur ein Ausdruck für die Tatsachen, welche sich durch ihre eigene Kraft in Mitteleuropa verwirklichen wollen. Sie sollten mit vollem Bewußtsein verwirklicht werden, nicht verborgen gehalten werden, um im Nebel der Entente-Wilson-Ziele doch ihrer Verwirklichung durch ihre eigene Natur entgegenzustreben und dadurch korrumpiert zu werden, und zum Anstoß und Vorwand für kriegerische Verwickelungen zu werden.

Die rechte Verwirklichung wird nie geschehen, wenn das, was Mitteleuropa wollen muß, verdeckt bleibt durch die unnatürliche Vermischung von politischen, wirtschaftlichen und allgemein menschlichen Interessen.

Denn die politischen Verhältnisse fordern, wenn sie gedeihen sollen, den gesunden Konservatismus im Sinne der Erhaltung und des Ausbaues der historisch gewordenen Staatsgebilde. Gegen diesen Konservatismus, der für Mitteleuropa eine Lebensbedingung ist, sträuben sich die wirtschaftlichen und allgemein-menschlichen Interessen nur so lange, als sie durch ihre Vermischung mit ihm zu leiden haben. Und der politische Konservatismus hat, wenn er sich auf sein wahres Interesse besinnt, nicht die geringste Veranlassung, sich durch das Zusammenwerfen mit wirtschaftlichen und allgemein-menschlichen Interessen seine berechtigten Kreise fortwährend stören zu lassen. Hört die Vermischung auf, dann versöhnen sich die wirtschaftlichen und allgemein-menschlichen Verhältnisse mit dem politischen Konservatismus, und dieser kann sich seinem eigenenWesen gemäß ruhig entwickeln. Die wirtschaftlichen Verhältnisse fordern zu ihrem Gedeihen den Opportunismus, der ihre Ordnung nur nach ihrem eigenen Wesen zustande bringt. Es muß zu Konflikten führen, wenn die wirtschaftlichen Maßnahmen in einem anderen Zusammenhang mit politischen und allgemein-menschlichen Anforderungen stehen, als bloß in einem solchen, der sich bei ihnen zukommenden eigenen Gesetzgebungen und Verwaltungen durch den selbstverständlichen Lebenszusammenhang ergibt. Gemeint sind hier nicht etwa bloß innerstaatliche Konflikte, sondern vorwiegend solche, welche nach außen hin in politischen Schwierigkeiten und in kriegerischen Explosionen sich entladen.

Die allgemein-menschlichen Verhältnisse und die mit ihnen zusammenhängenden Völkerfreiheitsfragen fordern im Sinne der Gegenwart und Zukunft zu ihrer Grundlage die individuelle Freiheit des Menschen. In diesem Punkte wird man nicht einmal einen Anfang mit sachgemäßen Anschauungen machen, solange man glaubt, von einer Freiheit oder Befreiung der Völker könne gesprochen werden, ohne daß man diese auf der individuellen Freiheit des Einzelmenschen aufbaut, und solange man nicht einsieht, daß mit der wirklichen individuellen Freiheit die Befreiung der Völker auch notwendig gegeben ist, weil sie als Folge der ersteren durch einen naturgemäßen Zusammenhang sich einstellen muß. Der Mensch muß sich zu einem Volke, zu einer Religionsgemeinschaft, zu jedem Zusammenhang, der sich aus seinen allgemein-menschlichen Aspirationen ergibt, bekennen können, ohne daß er in diesem Bekenntnisse von seinem politischen oder wirtschaftlichen Zusammenhange durch die Staatsstruktur abgehalten wird.

Darauf kommt es an, einzusehen, daß alle Formen der Staatsstruktur als historisch Gewordenes fähig sind, die Menschenbefreiung durchzuführen, wenn sie durch ihr eigenes Interesse darauf gewiesen sind, was im eminenten Sinne gerade bei den mitteleuropäischen Staaten der Fall ist. Eine parlamentarische Gestaltung dieser Staaten mag aus Gründen der Zeitentwickelung und des Völkerempfindens heute als notwendig angesehen werden. Mit den Fragen, die angesichts dieser Kriegswirren jetzt in die Weltöffentlichkeit geworfen werden müssen, hat nur die charakterisierte Dreigliedrigkeit der Staatsstruktur zu schaffen. Die bloße Frage nach dem Parlamentarismus ändert an den Verhältnissen, die in das gegenwärtige Chaos geführt haben, nichts. Von diesem reden die westlichen Völker so viel, weil sie von den mitteleuropäischen Verhältnissen nichts verstehen und dem Glauben sich hingeben, was für ihre Interessen von ihnen für das richtige gehalten wird, müsse als Allerweltsschablone dienen. Für Mitteleuropa gilt, auch wenn Parlamentarismus herrschen soll, dann ein solcher, in dem die politischen, die wirtschaftlichen und die allgemein-menschlichen Verhältnisse unabhängig voneinander in Gesetzgebung und Verwaltung sich entfalten, und so sich gegenseitig stützen, statt sich in ihren Wirkungen nach außen zu verstricken und in Konfliktsstoffen zu entladen. Mitteleuropa befreit sich und die Welt von solchen Konfliktsstoffen, wenn es die angedeutete gegenseitige Störung der drei menschlichen Lebensformen in seinen Staatsstrukturen ausschließt. Keine Ententeziele und keine Wilsonschen Ziele können aufkommen gegenüber der Kraft, die von Mitteleuropa aufgezeigt wird, wenn dieses der Welt vorstellt, was nur es allein vermag, und was niemand anderer vollbringen kann. Die Menschheits- und damit die Völkerbefreiung wird als notwendiger Teil der mitteleuropäischen Staats- und Völkerinstinkte vor der Welt aufgestellt, wenn sie so, wie hier angedeutet, als tatsachenverbürgender Impuls in die Geschehnisse der Gegenwart hineingeworfen werden.

Was hier ausgeführt ist, soll nicht ein utopistisches Programm vorstellen, es soll nicht historische Rechte und Rechtsgefüge aus der Welt schaffen. Es stellt für den, der es genau betrachtet, etwas dar, das mit völliger Beachtung aller historischen Berechtigungen bei Anerkennung der tatsächlichen Verhältnisse ohne irgendwelche Bedenken aus den gegenwärtigen Staatsstrukturen herauswachsen kann. Es ist daher selbstverständlich, daß sich das hier Auszuführende alles Eingehens auf Einzelheiten enthält. Solche Einzelheiten ergeben sich bei wirklich praktisch gedachten Impulsen erst in der Ausführung. Nur der Utopist kann im einzelnen ausdenken, dafür sind seine dem abstrakten Denken entsprungenen Aufstellungen auch nicht durchführbar. Was hier gesagt wird, darf nur in allgemeinen Richtlinien auftreten. Diese Richtlinien aber sind eben nicht erdacht, sondern an den mitteleuropäischen Lebensverhältnissen beobachtet. Das verbürgt, daß sie sich gerade dann bewähren werden, wenn die Praxis darangeht, sie als Richtlinien zu benützen. Wovon hier geredet wird, das ist gewissermaßen als Lebensbedürfnis schon da. Es handelt sich nur darum, diesem Lebensbedürfnisse zu dienen. Und auch deswegen braucht über das einzelne jetzt nicht gesprochen zu werden, weil dieses eine innere Angelegenheit der mitteleuropäischen Staaten ist. In diesem Augenblick ist nur nötig, so viel von der Sache vor der Welt geltend zu machen, als Bedeutung nach außen hat. Worauf es ankommt, das ist, aus dem mitteleuropäischen Leben heraus die Impulse zu zeigen, die in diesem wirklich liegen, und dies so zu zeigen, daß die westlichen Gegner sehen, daß sie bei einer weiteren Fortsetzung des Krieges sich diesen unverwüstlichen Impulsen gegenübergestellt finden müssen. Es wird dadurch den Ententeführern etwas entgegengestellt, nicht bloß entgegengehalten, was ihnen bis jetzt nicht entgegengestellt worden ist, und was sie durch kein Kriegsprogramm von ihrer Seite bezwingen können. Eine solche vor der Welt geführte Sprache, wie sie hier gemeint ist, die den Keim der Tatsachen in sich trägt, muß Folgen haben. Die Ausgleichung mit Rußland braucht im gegenwärtigen Augenblick für das hier angegebene nicht gesucht zu werden, denn diese Ausgleichung muß sich im Verfolge der Sache von selbst ergeben. Und die Einsicht, daß ein solches Ergebnis eintreten muß, wird bei den russischen Führern Impulse zeitigen, die nur günstige Erfolge haben können. Immer muß bei alledem in Betracht gezogen werden, was das Angedeutete nicht zunächst als innere Staatsangelegenheit bedeutet, sondern was es bedeutet als Manifestation nach außen hin innerhalb des gegenwärtigen Weltkonfliktes zu seiner Beendigung, namentlich im politischen Kampfe mit den Manifestationen der Ententeführer und Wilsons. Das Innere kommt in diesem Falle in einem ähnlichen Sinne in Betracht, wie die Tatenwirkungen des Denkens eines Menschen für andere Menschen eine Realität sind, trotzdem die Art, wie er denkt, nur eine innere Angelegenheit seiner Organisation ist. Er hat aber nur nötig, über die Wirkung seines Denkens mit anderen sich auseinanderzusetzen, nicht über die Verfassung seines Inneren.

In Gesetzgebung, Verwaltung und sozialer Struktur die Trennung des Politischen, Wirtschaftlichen und Allgemein-Menschlichen als Ziel des mineleuropäischen Strebens anerkennen und annehmen, das paralysiert die Kräfte der Westmächte. Das zwingt sie, neben den europäischen Mittelmächten und den mit den letzteren unter solchen Bedingungen zusammengehenden Ostmächten sich in ein Verhältnis zu denken, in dem die Westmächte sich darauf beschränken, sich im Gebiete ihrer Volksinstinkte die ihnen angemessene Struktur zu geben (als staatliche Gebilde), und die mittel- und osteuropäischen Völker ihre Gemeinsamkeiten im Sinne wirklicher Menschenbefreiung auch innerhalb des ihnen zukommenden naturgemäßen Raumes ohne Störung, wie sie als Ursache dieses Krieges vorhanden war, sich ausleben zu lassen, während sie jetzt allein ihren Willen glauben als das im Weltkonflikte maßgebende hinstellen zu können.

Es kommt alles darauf an, einzusehen, wie anders sich die Verhältnisse zwischen Staaten und Völkern und auch Einzelmenschen abspielen, wenn diesen Verhältnissen zugrunde liegt diejenige Wirkung nach außen, die aus der Trennung der drei Lebensfaktoren folgt, als wenn in diese Außenwirkung verstrickt sind die Konflikte, die sich aus ihrer Vermischung ergeben. Man wird in Zukunft die Vorgeschichte dieses Krieges nämlich so schreiben, daß man geradezu zeigen wird, wie derselbe durch die unglückselige gegenseitige Störung der drei Lebenskreise im Völkerverkehre entstanden ist.

Bei ihrer Trennung wirkt nach außen hin die Kraft des einen Lebenskreises im Sinne der Harmonisierung auf die anderen; insbesondere gleichen die wirtschaftlichen Interessenkräfte Konflikte aus, die auf politischem Boden entstehen, und die allgemein-menschlichen Interessenkreise können ihre völkerverbindende Kraft entfalten, während gerade diese Kraft in völlige Unwirksamkeit getrieben wird, wenn sie nach außen belastet mit den politischen und wirtschaftlichen Konflikten auftreten muß. Über nichts hat man sich in der jüngsten Zeit größeren Täuschungen hingegeben als über den letzten Punkt. Man sah nicht, daß allgemein-menschliche Verhältnisse nach außen ihre wahre Kraft nur entfalten können, wenn sie im Innern auf der Grundlage der freien Korporation aufgebaut sind. Sie wirken dann im Zusammenhange mit den wirtschaftlichen Interessen so, daß im Verfolg dieser Wirkungen dasjenige sich im lebendigen Werden naturgemäß entwickelt, dem man durch die Schaffung von utopistischen, überstaatlichen Organisationen ein zweifelhaftes Zukunftsdasein geben will: Utopistische Schiedsgerichte, ein Wilsonscher «Völkerbund» und so weiter, die zu nichts anderem führen können, als zu der fortdauernden Majorisierung Mitteleuropas durch die anderen Staaten. Solche Dinge leiden an dem Fehler, unter dem alles leidet, was aus Wunschabstraktionen den Tatsachen aufgedrängt wird, während man mit dem hier Gemeinten einer Entwickelung freie Bahn schafft, die aus den Tatsachen selbst heraus nach ihrer Verwirklichung strebt, und die daher sich auch verwirklichen kann.

Das Folgende wie im ersten Memorandum S. 344 «Erkennt man dieses.. »bis S. 350 «erscheinen muß.»

Der Schluß des zweiten Memorandums lautet:

... Es ist ganz selbstverständlich, daß vielen gegen das hier Vorgebrachte unzählige Bedenken aufsteigen werden. Allein solche Bedenken kämen nur in Betracht, wenn das Vorliegende als ein Programm gedacht wäre, an dessen Verwirklichung ein einzelner oder eine Gesellschaft gehen sollte. So ist es aber nicht gedacht, ja, es widerlegt sich selber, wenn es so gedacht wäre. Es ist als der Ausdruck dessen gedacht, was die Völker Mitteleuropas tun werden, wenn man sich von seiten der Regierungen die Aufgabe stellen wird, die Volkskräfte zu erkennen und zu entbinden. Was im einzelnen geschehen wird, das zeigt sich bei solchen Dingen immer dann, wenn sie sich auf den Weg der Verwirklichung begeben. Denn sie sind nicht Vorschriften über etwas, was zu geschehen hat, sondern Voraussagen dessen, was geschehen wird, wenn man die Dinge auf ihre durch die eigene Wirklichkeit geforderte Bahn gehen läßt. Und diese eigene Wirklichkeit schreibt vor bezüglich aller religiösen und geistig-kulturellen Angelegenheiten, wozu auch das Nationale gehört: Verwaltung durch Korporationen, zu denen sich die einzelne Person aus freiem Willen bekennt und die in ihrem Parlamente als Korporationen verwaltet werden, so daß dieses Parlament es nur mit der betreffenden Korporation, nie aber mit der Beziehung dieser Korporation zu der einzelnen Person zu tun hat. Und nie darf es eine Korporation mit einer unter demselben Gesichtspunkt zu einer anderen Korporation gehörigen Person zu tun haben. Solche Korporationen werden aufgenommen in den Kreis des Parlamentes, wenn sie eine bestimmte Anzahl von Personen vereinigen. Bis dahin bleiben sie Privatsache, in die sich keine Behörde oder Vertretung zu mischen hat. Für wen es ein saurer Apfel ist, daß von solchen Gesichtspunkten aus alle geistigen Kulturangelegenheiten künftig der Privilegierung entbehren müssen, der wird eben in diesen sauren Apfel zum Heile des Volksdaseins beißen müssen. Bei der immer weitergehenden Gewöhnung an diese Privilegierung wird man ja in weiten Kreisen schwer einsehen, daß man auf dem Wege von der Privilegierung gerade der geistigen Berufe zum guten alten, uralten Prinzip der freien Korporierung zurückkehren muß, und daß die Korporation zwar einen Menschen in seinem Berufe tüchtig machen soll, aber daß man die Ausübung dieses Berufes nicht privilegieren, sondern der freien Konkurrenz und der freien menschlichen Wahl überlassen muß, das wird von allen denen schwer einzusehen sein, die gerne davon sprechen, daß die Menschen doch zu dem oder jenem nicht reif seien. In der Wirklichkeit wird dieser Einwand ja ohnedies nicht in Betracht kommen, weil mit Ausnahme der notwendig freien Berufe über die Wahl der Petenten die Korporationen entscheiden werden.

Ebensowenig können sich Schwierigkeiten ergeben bezüglich des Politischen und des Wirtschaftlichen, die nicht real behebbar wären bei der Verwirklichung des Intendierten. Wie zum Beispiel pädagogische Institutionen zustande kommen müssen, die in ihren Richtlinien die beiden nicht die eigentliche Pädagogik in sich schließenden Vertretungen berühren, das ist eine Sache des übergeordneten Senates.

Alle einzelnen Einrichtungen, wie sie hier gedacht sind, lassen sich erreichen durch Ausbau der historisch gegebenen Faktoren, die in keinem Lande Mitteleuropas etwa beseitigt oder durch andere radikal ersetzt zu werden brauchen. In dem Bestehenden können überall die Punkte gefunden werden, welche, in der angedeuteten Richtung verfolgt, die Völkerbefrejung auf Grund der Menschenbefreiung ergeben. Hier zu «beweisen», daß das Gesagte «richtig» ist, wäre widersinnig; denn diese Richtigkeit muß sich ergeben aus der Tatsache der Verwirklichung. Die nächste Verwirklichung wäre das Sich-Bekennen zu diesen Impulsen an autoritativer Stelle. Darüber, daß schon dieses offene Bekenntnis eine ungeheuere, für die mitteleuropäischen Staaten günstige Wirkung haben muß, braucht niemand bange zu sein. Man kann vielmehr ruhig abwarten, was die Entente-Führer tun (nicht sagen) werden, wenn ihnen dieses offene Bekenntnis entgegensteht. Mit ihm müssen sie anders rechnen, als sie mit allem gerechnet haben, was bisher von Mitteleuropa ausging. Bisher brauchten sie bloß mit dem Waffen-Erfolge Mitteleuropas zu rechnen; sie sollen auch rechnen mit dessen politischem Wollen.

Wer das hier Angedeutete in wirklich praktischem Sinne denkt, das heißt im Einklang mit den tatsächlichen Verhältnissen, der wird finden können, daß damit eine Grundlage geschaffen ist, auf der auch so komplizierte Fragen wie die der österreichischen Sprachenfrage - einschließlich der Staats- und Verkehrssprache - und der deutschen Kolonialfragen ruhen können. Denn mit dem hier Gedachten wird der Fehler vermieden, den man bisher immer gemacht hat, nämlich daß man an eine Lösung solcher Fragen dachte, ehe man die Tatsachen-Grundlagen geschaffen hatte, auf denen sich eine Lösung erst aufbauen läßt. Man ging bisher stets darauf aus, ein erstes Hausstockwerk aufzubauen, ohne an das Erdgeschoß zu denken. Dieses Erdgeschoß aber ist für die mitteleuropäischen Staaten die Anerkennung ihrer naturgemäß notwendigen Struktur in konservativ-historisch-politische Vertretung und Verwaltung, abgetrennt von der Organisation des opportunistisch-wirtschaftlichen und des geistig-kulturellen Elementes. Steht man auf diesem Boden fest, dann erst kann auf dieser Grundlage von Parlamentarismus, Demokratismus und ähnlichem gesprochen werden. Denn diese Dinge werden an sich nicht anders, ob sie der Ausdruck einer in Mitteleuropa für die Dauer unmöglichen Verquickung der politischen, wirtschaftlichen und geistig-kulturellen Elemente sind, oder derjenige der naturgemäßen Gliederung dieser Elemente. - Gerade an der Wirkung, die ein in diesem Sinne gehaltenes offenes Bekenntnis auf die Führer der Entente hervorbringen würde, könnte man bei Eintritt dieser Wirkung sehen, wie man mit diesem Bekenntnis auf dem realen Boden der Tatsachen steht.

*

Die Ausführbarkeit des in dieser Darstellung Gegebenen wird niemand bezweifeln, der aus den wirklichen Verhältnissen Mitteleuropas heraus denkt. Denn hier wird nichts «als Programm» gefordert, sondern es ist nur aufgezeigt, was sich durchführen will, und was in demselben Augenblicke gelingt, in dem man ihm freie Bahn gibt.

Träte an die Stelle der Entente-Wilsonschen Friedensformel dasjenige, was ohne Maske das Wesen dieser Formel ist, so käme das folgende heraus: «Wir Anglo-Amerikaner wollen, daß die Welt werde, wie wir sie wünschen. In diesen Wunsch hat sich Mitteleuropa zu fügen.» Diese unmaskierte Friedensformel zeigt, daß Mitteleuropa in den Krieg getrieben werden mußte. Siegte die Entente, so wäre Mitteleuropas Entwickelung ausgelöscht. Fügt Mitteleuropa zu der Unbesieglichkeit seiner Waffen als Friedensangebot gegenüber der Welt die unbedingteste Absicht, zu verwirklichen, was nur Mitteleuropa in Europa verwirklichen kann, die Völkerbefrejung durch die Menschenbefrejung, dann kann dieses Mitteleuropa dem Gerede von «dem Rechte und der Freiheit der Völker» das tatsächliche, wahre Wort entgegensetzen: «Wir kämpfen für unser Recht und unsere Freiheit und die Verwirklichung dieser Menschheitsgüter, die wir uns nicht nehmen lassen können und wollen, beeinträchtigt durch ihr eigenes Wesen kein wirkliches Recht und keine Freiheit eines andern. Denn was wir wollen werden, wird die Bürgschaft davon in sich selbst tragen. Könnt ihr Westvölker euch mit uns auf dieser Grundlage verständigen und seht ihr Ostvölker ein, daß wir nichts anderes wollen als ihr selbst, wenn ihr euch erst recht selbst versteht, dann ist morgen der Friede möglich.»

 

 

Zweites Memorandum

(erste Fassung vom 22. Juli 1917)

 

Der Anfang stimmt mit der vorstehend abgedruckten zweiten Fassung überein, nur treten die Abschnitte Absatz 2 auf Seite 353 und Absatz 2 auf Seite 356 erst in der zweiten Fassung auf. Der Schluß der ersten Fassung lautet:

Mitteleuropa kann, wenn es will, im Sinne dieser drei Grundlagen handeln, und sein Handeln wird ein Tatsachenprogramm sein. Es wird so handeln, wenn es ein sachliches Programm der Menschheitsbefreiung dem Entente-Wilsonschen Blendprogramme entgegenstellt. Ein solches Programm ist nicht radikal in dem Sinne, in dem man in gewissen Kreisen vor jedem Radikalismus erschrickt. Es ist vielmehr nur ein Ausdruck für die Tatsachen, welche sich durch ihre eigene Kraft in Mitteleuropa verwirklichen wollen. Sie sollten mit vollem Bewußtsein verwirklicht werden, nicht verborgen gehalten werden, um im Nebel der Entente-Wilson-Ziele doch ihrer Verwirklichung durch ihre eigene Natur entgegenzustreben und dadurch korrumpiert zu werden.

Die Verwirklichung wird nie geschehen, wenn das, was Mitteleuropa wollen muß, verdeckt bleibt, durch die unnatürliche Vermischung von politischen, wirtschaftlichen und allgemeinen Menschheitsinteressen.

Denn die politischen Verhältnisse fordern, wenn sie gedeihen sollen, den Konservatismus im Sinne der Erhaltung und des Aufbaues der historisch gewordenen Staatsgebilde. Gegen diesen Konservatismus sträuben sich die wirtschaftlichen und die allgemeinen Menschheitsinteressen nur so lange, als sie von ihm zu leiden haben. Hört dieses Leiden auf, dann versöhnen sie sich mit ihm, weil sie seine Notwendigkeit einsehen lernen.

Die wirtschaftlichen Verhältnisse fordern zu ihrem Gedeihen den Opportunismus, der ihre Ordnung nur nach ihrem eigenen Wesen zustande bringt. Es muß zu Konflikten führen, wenn die wirtschaftlichen Maßnahmen im Zusammenhang stehen mit politischen oder allgemein-menschlichen Anforderungen und dieser Zusammenhang ein solcher ist, der die wirtschaftliche Entwickelung durchkreuzt.

Die allgemein-menschlichen und die Verhältnisse der Völker fordern im Sinne der Gegenwart und der Zukunft die individuelle Freiheit des Menschen. Der Mensch muß sich zu einem Volke, zu einer Religionsgemeinschaft, zu einem anderen Zusammenhange, der mit seinen allgemein-menschlichen Aspirationen zusammenhängt, bekennen können, ohne daß er in diesem Bekenntnis von seinem politischen oder wirtschaftlichen Zusammenhange durch die Staatsstruktur abgehalten wird.

Darauf kommt es an, einzusehen, daß alle Formen der Staatsstruktur als historisch Gewordenes fähig sind, die Menschheitsbefreiung durchzuführen, wenn sie durch ihr eigenes Interesse darauf angewiesen sind, nicht bloß dem Rassenegoismus zu dienen. Eine parlamentarische Vertretung eines Volkes mag aus Gründen der Zeitentwickelung wünschenswert sein, sie ändert an den Verhältnissen, die in das gegenwärtige Chaos geführt haben, nichts, wenn in diesem Parlamente die politischen, die wirtschaftlichen und die allgemein-menschlichen Verhältnisse sich fortwährend stören. Und Mineleuropa strebt seinem Wesen nach dahin, solche Störung auszuschließen. Keine Entente, keine Wilsonschen Ziele können aufkommen gegenüber der Kraft, die in der Verwirklichung der europäischen Freiheitsinstinkte durch Mitteleuropa liegt. Denn diese Freiheitsinstinkte sind der Keim der europäischen Völkerfreiheiten, nicht die Wilsonschen Ideen.

Die Gesetzgebung, Verwaltung und soziale Struktur, die Trennung des Politischen, Wirtschaftlichen, Allgemein-Menschlichen als Ziel des mitteleuropäischen Strebens anerkennen und annehmen, das paralysiert die Westmächtekräfte, das zwingt sie, neben den europäischen Mittelmächten, in deren Verein mit Osteuropa zu einem Frieden sich zu bekennen, der diese Westmächte sich darauf beschränken läßt, im Gebiete ihrer Volksinstinkte sich die soziale Struktur zu suchen, die ihnen angemessen ist, und die Mittel- und Osteuropäer, ihre Völkergemeinsamkeiten sich im Sinne wirklicher Menschheitsbefreiung auch innerhalb des ihnen historisch gewordenen Raumes ausleben zu lassen.

Der Parlamentarismus, der für Mitteleuropa nötig ist, wird sich ergeben, wenn man nicht mehr ihn als das erste ansieht, sondern als die Folge, wie sie herauskommen muß, wenn man als erstes anerkennt die Trennung in das Politisch-Militärische, das sich sein Verhältnis zu anderen Staaten nach seinem Wesen ebenso ordnet, wie die Anforderungen der inneren Volksstruktur - in das Wirtschaftliche, das nach seiner eigenen Natur opportunistisch geordnet wird, das heißt in diesem Sinne gesetzgeberisch vertreten und verwaltet wird -, und in das Allgemein-Menschliche, das auf die Korporationen aufgebaut ist, zu denen sich der Mensch im Sinne seiner eigenen freien Empfindung bekennt.

Der abstrakte Völkerbund mit seinen utopistischen Schiedsgerichten könnte zu nichts anderem führen, als zu der fortdauernden Majorisierung Mitteleuropas durch die anderen Staaten. Die Ordnung der Verhältnisse in Mitteleuropa im Sinne der Kräftetrennung führt zu dem fortdauernden Ausgleich der in den Völkern verankerten Menschheitsinteressen. Mit dem Wilsonschen Völkerbunde schafft man Einrichtungen, welche unter dem Unheile leiden müssen, unter dem stets gelitten wird, wenn menschliche Wunschabstraktionen den Tatsachen aufgedrängt werden; mit demjenigen, wonach die ganze Wesenheit der mittel- und osteuropäischen Völker drängt, schafft man nicht solche Institutionen, sondern man befreit damit dasjenige, was befreit im Sinne der friedlichen Entwickelung, unbefreit zu kriegerischen Konflikten führen muß. Einen künftigen Zustand der Menschheit kann man nicht durch Einrichtungen schaffen, wie Wilson und die Entente wollen, sondern er wird entstehen, wenn man den Tatsachen ihre Freiheit gibt, durch die er entstehen kann.

Träte an die Stelle der Entente-Wilsonschen-Friedensformel, was ohne Maske das Wesen dieser Formel ist, so käme das folgende heraus:

«Wir Anglo-Amerikaner wollen, daß die Welt werde, wie wir sie wünschen; in diesen Wunsch hat sich Mitteleuropa zu fügen.» - Diese unmaskierte Friedensformel zeigt, daß Mitteleuropa in den Krieg getrieben werden mußte. Siegte die Entente, so wäre Mitteleuropas Entwickelung ausgelöscht.

Fügt Mitteleuropa zur Unbesiegbarkeit seiner Waffen als Friedensangebot gegenüber der Welt die unbedingteste Absicht, zu verwirklichen, was nur Mitteleuropa in Europa verwirklichen kann, die Völkerbefreiung durch die Menschenbefreiung, dann kann dieses Mitteleuropa dem Gerede von «dem Rechte und der Freiheit der Völker» das tatsächliche wahre Wort entgegensetzen: «Wir kämpfen für unser Recht und unsere Freiheit. Und die Verwirklichung dieser Menschheitsgüter, die wir uns nicht nehmen lassen können und wollen, beeinträchtigt durch ihr eigenes Wesen kein wirkliches Recht und keine Freiheit des anderen; denn, was wir wollen werden, wird die Bürgschaft dafür in sich selbst tragen.

Könnt ihr Westvölker euch auf dieser Grundlage mit uns verständigen und seht ihr Ostvölker ein, daß wir nichts anderes wollen als ihr selbst, wenn ihr euch erst recht selbst versteht -, dann ist morgen der Friede möglich.»