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The Rudolf Steiner Archive

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Aufsätze uber die Dreigliederung des sozialen Organismus
GA 24

Der Weg des «Dreigliedrigen sozialen Organismus»

(Flugblatt, Frühjahr 1919)

Der Ruf nach einer Neugestaltung des sozialen Zusammenlebens und Zusammenarbeitens der Menschen geht durch die Welt. Die wirtschaftlichen, rechtlich-politischen und geistigen Lebenszustände, die im Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts herrschend waren, haben in die schreckenerfüllte Weltkatastrophe dieser Zeit geführt. Ein Wirtschaftssystem, das unsozial, ein rechtlich-politisches Leben, das ungeeignet war, die vom Bewußtsein der großen Mehrheit der gegenwärtigen Menschheit als ungerecht empfundenen Klassengegensätze (Gegensätze)* zu überwinden, eine Geisteskultur, die sich trotz ihrer «Fortschritte» als unfähig erwiesen hat, Führer zu sein aus einem unsozialen Wirtschaftsleben und einem auf Klassengegensätzen (Gegensätzen) ruhenden Staate heraus: sie müssen einem Neuen Platz machen.

                                                                                                                

* Das Eingeklammerte sind Korrekturen für eine zweite Auflage. Siehe Hinweise.

Mag unter Sozialisierung (den neuen sozialen Verhältnissen) der eine heute noch dies, der andere jenes verstehen: einig könnten alle, die nicht geistig blind unsere Zeit durchleben wollen, sein, daß durch die Sozialisierung (soziale Wandlung) aufgerufen werden müssen zur eigenen Gestaltung ihrer sozialen Verhältnisse alle diejenigen, die bisher diese Verhältnisse sich aufgedrängt sahen durch die Macht ihnen geistig, rechtlich oder wirtschaftlich übergeordneter Klassen (fremder Mächte). Klassenkämpfe (Parteien- und Klassenkämpfe) können nur mit dem Aufhören der (einander widerstrebender) geistigen, rechtlichen und wirtschaftlichen Klassengegensätze (Kräfle) selbst verschwinden.

Daß dies der Ruf der Zeit ist, zeigt die Bewegung des Proletariats, zeigt aber die richtig verstandene Geschichtsentwickelung selbst.

Das Ziel wird gefühlt.

Den Weg will der Impuls zum dreigliedrigen sozialen Organismus hin zeigen.

Dieser Impuls fordert die völlige Verselbständigung des Geisteslebens, einschließlich des Erziehungs- und Schulwesens. Er sieht die Ursachen des geistigen Unvermögens unserer Zeit in der Aufsaugung der Geisteskultur durch den Staat. Er verlangt die vollständige Selbstverwaltung dieser Kultur aus den rein sachlichen und allgemein-menschlichen Gesichtspunkten heraus. Es wird erst richtig erzogen werden, wenn in die Frage: wie erzieht man alle Menschen zu wahren lebenstüchtigen Menschen, niemand hineinzureden hat als diejenigen, die nur aus den Untergründen der Menschennatur selbst darüber urteilen können. Dieser Impuls fordert die Einschränkung des Staatslebens auf alle diejenigen Lebensverhältnisse, für die alle Menschen vor einander gleich sind. Auf diesem Boden ist auf streng demokratische Art mit Umwandlung der gegenwärtigen privatkapitalistischen Besitz- und Zwangsarbeitsverhältnisse (auf Besitz-, Klassen- und andere Verhältnisse gebäuten «Rechte») vor allem ein solches allgemeines Menschenrecht zu erreichen, das den Arbeiter (jeden Menschen) als völlig freie Persönlichkeit dem Arbeitleiter (ändern), (der nur noch geistiger Arbeiter ist), gegenüberstellt.

Dieser Impuls fordert ein Wirtschaftsleben, in dem der Arbeiter dem Arbeitleiter so gegenübertritt, daß zwischen beiden ein freies Gesellschaftsverhältnis über die Leistungen vertragsmäßig zustande kommen kann, so daß das Lohnverhältnis völlig aufhört. Dazu ist die völlige Sozialisierung des Wirtschaftslebens (ein auf wahres soziales Zusammenarbeiten eingestelltes Wirtschaftsleben) notwendig. Nur aus der sachgemäßen Teilnahme aller Menschen an entsprechenden Genossenschaften, die aus den Berufen einerseits, den Konsumenten- und Produzentenbedürfnissen andrerseits entstehen, kann eine Wertregulierung der Güter hervorgehen, die allen Menschen ein menschenwürdiges Dasein sichert. Eine solche Wertregulierung der Güter kann erst den Grundsatz verwirklichen: es darf nicht produziert werden, um zu profitieren, sondern nur um (in Gemäßheit der allgemeinen sozialen Verhältnisse) zu konsumieren. Sie ist nur möglich, wenn man es nach Loslösung des geistigen und staatlichen Lebens in der Wirtschaft mit nichts anderem zu tun hat als mit Gütererzeugung, Güterverteilung und Güterkonsum. Jedes Interesse an unsachlicher, bloßer (Geld- oder) Kapitalverwertung, jedes auf konkurrierende Wirtschaftsinteressen aufgebaute und aus solchen heraus wirkende Lohnsystem hindert eine richtige wechselseitige Güterpreisgestaltung und daher gerechte Güterverteilung.

In allen Einzelheiten des sozialen Lebens will der Impuls nach dem dreigegliederten sozialen Organismus:

1. Entwickelung des Menschen in allen seinen Fähigkeiten durch das selbständige Geistesleben;

2. Herstellung der Menschenrechte durch den Ausschluß aller nicht allgemein-menschlichen Interessen vom Rechtsboden;

3. Gerechte Güterverteilung in einem richtigen Wertgestaltungsverhältnis der Güter (Waren) durch Umgestaltung des gegenwartigen Kapital- und Lohnsystems.

Eine Eingliederung in die internationalen Weltverhältnisse kann das deutsche Volk nur erhoffen, wenn es die Hemmungen, die in seinem Wirtschafts-, Rechts- und Geistesleben durch deren unorganische Verschmelzung im bisherigen Staatswesen entstanden sind, beseitigt durch die organische Dreigliederung des sozialen Organismus. Dadurch kann bewirkt werden, daß durch die freie Entfaltung eines jeden der drei Glieder und die eben dadurch entstehende höhere Einheit, die höchste mit dem an Leib und Seele gesunden Menschen vereinbarte wirtschaftliche Produktivität, die wahre Befriedigung echten volkstümlichen Rechtsgefühles und die allseitige Offenbarung der im deutschen Geiste veranlagten Kräfte möglich werde.